Zwischen Krieg und Terror
Städte, auch die alltägliche Gewalt steigert den Hass der Sunniten im Irak. Nach einer Aufstellung der US-Militärs wird 2005 täglich ein Zivilist an einem Kontrollposten, einer StraÃensperre oder in der Nähe eines amerikanischen Militärkonvois erschossen. Mal ist eine Schwangere auf dem Weg ins Krankenhaus das Opfer, deren Schwager in seiner Aufregung eine StraÃe zu früh abbiegt, ein anderes Mal ist es ein italienischer Agent auf dem Weg zum Flughafen von Bagdad. Ohne sich darüber Gedanken zu machen, ob die Warnhinweise ausreichen oder Zivilisten eine StraÃensperre überhaupt als solche erkennen können, nehmen die US-Soldaten jedes Auto, dessen Fahrer vor dem Checkpoint nicht schnell genug abbremst, unter Feuer. Getrieben werden sie in der Regel nicht von Aggressivität. Es ist die Angst, die die Soldaten so schnell den Abzug ihrer Waffen duchdrücken lässt. Wie sollen sie auch im Bruchteil einer Sekunde zwischen einem Selbstmordattentäter und einem unvorsichtigen Fahrer unterscheiden? Denn die meisten US-Soldaten sterben bei Angriffen auf Kontrollposten oder Konvois.
Erst im Frühjahr 2006 werden die Warnsysteme von Konvois und vor Kontrollposten verbessert. Seither wird wöchentlich nur noch ein irakischer Zivilist erschossen. Dies ist nicht das einzige Anzeichen eines veränderten Verhaltens von US-Soldaten. Neuerdings gibt es Anweisungen, auch das Selbstwertgefühl der Iraker bei Auseinandersetzungen oder auch nur Begegnungen stärker zu berücksichtigen. Um die Erniedrigung von Gefangenen zu vermeiden, sollen Festgenommene nicht mehr vor den Blicken Angehöriger gefesselt werden, um diese nicht zu Reaktionen aus Hass oder Rache zu provozieren. Wie oft US-KONVOIS oder einzelne Soldaten aus verletztem Ehrgefühl angegriffen werden, lässt sich nicht abschätzen. Den Kommandostäben mangelt es an Einsicht darüber, dass bereits mit einem etwas weniger aggressiven Auftreten Todesopfer hätten vermieden werden können. US-Offiziere versuchen immer wieder, die wichtigsten Stammesführer für ein Bündnis zu gewinnen, aber ihnen fehlen das Gespür und die Erfahrung, die wenigen Gemeinsamkeiten zu nutzen, um langfristig eine Zusammenarbeit zu entwickeln.
Oft sind es Kleinigkeiten, die zu groÃen Fehlschlägen führen. Bei einem von ihnen war ich Augenzeuge. Alle groÃen US-Einheiten haben Soldaten, deren Aufgabe darin besteht, das Verhältnis zur irakischen Bevölkerung zu verbessern. An einem Nachmittag begleite ich solch eine Gruppe. Sechs Fahrzeuge fahren in eine Siedlung, in der völlig verarmte Familien leben. Männer verschwinden, Frauen stehen in den Türen, und auch einige Jungen verlassen einen staubigen Platz, auf dem sie FuÃball spielen.
Auf diesem hissen die Soldaten der Gruppe für »zivile Angelegenheiten« das Sternenbanner und beginnen, Wasser und Schulutensilien an die Kinder zu verteilen. Zuerst kommen nur die Kleinen, die schüchtern die Geschenke entgegennehmen. Doch innerhalb weniger Minuten entwickelt sich eine Volksfeststimmung. Die Kinder rennen in die Behelfshütten ihrer Eltern oder von Freunden, stellen die Wasserflasche und das Päckchen mit Stiften und Heften ab und rasen zurück, um sich erneut in die Schlange einzureihen. Einige Eltern kommen, um ihren Kleinen die Sachen abzunehmen, damit sie sich noch öfter anstellen können.
Auch den Soldaten macht es SpaÃ. Selbst ältere Kinder stehen nun Schlange. Doch als die Vorräte zu Ende gehen, bricht groÃes Geschrei aus. Kinder protestieren und umringen den Konvoi. Und jetzt passiert das Schockierende. Die Soldaten rufen »finished!« und ernten ein noch stärkeres Gebrüll. Doch statt die Situation und beginnende Spannungen spielerisch aufzulösen, feuern die Soldaten mehrere Salven über die Köpfe der Kleinen, die blitzartig das Weite suchen. Wir machen uns schnell aus dem Staub. Aus den Häusern folgen uns wieder Blicke voll skeptischen Misstrauens.
Nach der Rückkehr erkundigt sich der Kommandeur der Einheit nach meinen Eindrücken. Meine Antwort, es sei beeindruckend gewesen, nur das SchieÃen hätte ich für überflüssig gehalten, irritiert ihn. Er will die ganze Geschichte hören und meint am Ende enttäuscht, dass man sich die Verteilaktion dann gleich hätte sparen können. Oberstleutnant Kevin Farrell, Kommandeur dieser in einem alten Armeekrankenhaus im
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