Zwischen Krieg und Terror
Bagdader Vorort Rostamia stationierten Panzereinheit, hat die arabische Kultur studiert und weiÃ, wie schwer es für seine Soldaten ist, die Schranken aus dem Weg zu räumen, und wie schnell Erfolge wieder zunichte gemacht werden können.
Wenn schon Angehörige einer Einheit für »zivile Angelegenheiten« zum Abschied schieÃen, dann kann man erst recht nicht erwarten, dass Soldaten der Kampfverbände während ihrer Einsätze darauf achten, die Sympathien der Zivilbevölkerung zu erringen. Im Irak sprechen viele Sunniten heute über die Grausamkeiten der ausländischen Soldaten als etwas völlig Normales, und ihre anfängliche Ablehnung der Amerikaner ist in unverhüllten Hass auf die Besatzer umgeschlagen. In der Regel werden die Zwischenfälle nicht einmal mehr bekannt, sondern kursieren als Gerüchte unter der irakischen Bevölkerung. Da bleibt es nicht aus, dass viele Verfehlungen von US-Soldaten auch gezielt übertrieben werden.
AuÃerhalb Iraks werden nur wenige Fälle publik. Einer ereignete sich am 19. November 2005, als amerikanische Armeeangehörige in Haditha vierundzwanzig unbewaffnete Iraker umbrachten. Die Marineinfanteristen wurden beschuldigt, die Zivilisten aus Rache für einen durch eine Bombenfalle getöteten Kameraden ermordet zu haben, wobei auch verängstigt in Häusern sich Verbergende nicht verschont wurden. Nach Augenzeugenberichten und Fotos wurden die Zivilisten, auch Kinder und Frauen, gezielt erschossen, einige von ihnen sogar in ihren Betten. Zu ihrer Verteidigung machten die Soldaten später geltend, es sei vertretbar gewesen, die Menschen zu erschieÃen, da sie geglaubt hätten, angegriffen zu werden. Ihr Vorgehen habe den Richtlinien für die Kämpfe bei solch schwierigen und chaotischen Einsätzen entsprochen. »Keiner war gefühlsmäÃig durcheinander« 11 , das Kommando habe die Tür eingetreten, eine Granate geworfen und Schüsse in die Rauch- und Staubwolken abgegeben, lieà einer der Beschuldigten durch seinen Anwalt erklären. Jeder habe eine Aufgabe zu erfüllen gehabt. Und der Anwalt führt aus: »Jeder war besorgt, dass es weitere Todesopfer geben könnte.« 12 Aus dieser Verlautbarung wird deutlich, dass für die Soldaten nur die eigenen Toten zählen.
Der Kommandeur jenes Bataillons, dessen Soldaten den Tod dieser Menschen verschuldet haben, beurteilt den Zwischenfall als ein ganz normales Kampfereignis. Deshalb habe er keine Untersuchung der Geschehnisse angeordnet oder die Frage gestellt, wie viele Frauen und Kinder getötet wurden. Nach dem Beginn der Ermittlungen behaupten beteiligte Soldaten mehrfach, die Zivilisten seien bei Kampfhandlungen umgekommen. Um ihre Argumentation aufrechterhalten zu können, sollen die Soldaten Berichte manipuliert haben. In einer Pressemitteilung hieà es am nächsten Tag, fünfzehn irakische Zivilisten seien einem Bombenanschlag zum Opfer gefallen, die Marineinfanteristen hätten zudem acht Aufständische erschossen, nachdem die Einheit von diesen angegriffen worden sei. 13 Es handelt sich offensichtlich um eine bewusste Irreführung der Ãffentlichkeit, da diese offizielle Verlautbarung auch von späteren Darstellungen des Tathergangs, die die beschuldigten Soldaten zu ihrer Verteidigung vorbringen, abweicht.
Wahrscheinlich ereignete sich der Zwischenfall in Haditha wirklich im Rahmen einer militärischen Routineaktion, über die nichts bekannt werden sollte. Ziel solch eines Vorgehens von Soldaten könnte sein, durch exemplarische Brutalität nach Anschlägen eine abschreckende Wirkung zu erzielen. Auf diese Weise können Iraker eingeschüchtert werden, sodass sie aus Angst vor Vergeltung Aufständische oder Terroristen daran hindern, Sprengfallen an den StraÃenrändern zu platzieren. In Bagdad haben US-Soldaten versucht, diese Abschreckung durch Massenverhaftungen zu erzielen. In StraÃen, in denen Bomben explodierten, wurden Dutzende junger Männer festgenommen, obwohl sie keiner Tatbeteiligung beschuldigt werden konnten.
Nach der Eroberung Bagdads im April 2003 hat mir einer der Marineinfanteristen erklärt, beim Vormarsch auf die Hauptstadt sei seiner Einheit der Befehl erteilt worden, für jeden Toten in den eigenen Reihen hundert Gegner »auszuschalten«. Diese ÃuÃerung deutet auf eine Kampfmentalität, die überwiegend von Vergeltungsgedanken geprägt ist.
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