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Zwischen Krieg und Terror

Titel: Zwischen Krieg und Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Tilgner
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Samuel Provance, ein Unteroffizier im US-Militärgeheimdienst, erklärt vor einem Ausschuss des Repräsentantenhauses, dass die Armeeführung von den Vorgängen in Abu Ghraib gewusst habe. Provance wirft dem Leiter einer armee-internen Untersuchung vor, bei seinen Ermittlungen die Rolle des Militärgeheimdienstes bewusst ausgeklammert zu haben. Der Unteroffizier behauptet, nach seiner Aussage vor dem Ausschuss auf eine schwarze Liste gesetzt und somit automatisch von etwaigen Beförderungen ausgeschlossen worden zu sein.
    Mit jeder Tür, die US-Soldaten bei ihrer Suche nach Verdächtigen eintreten - und das sind in der Sunnitenregion Nordiraks viele -, machen sie sich eine weitere Familie, Sippe oder sogar einen ganzen Stamm zum Feind. Denn das gewaltsame Eindringen in ein Haus, in dem sich eine Frau aufhält, kann als Todsünde gewertet werden. Einem Soldaten auf der Suche nach einem Terroristen kommt das gar nicht in den Sinn. Wenn er Geräusche in einem Haus hört und ihm auf Rufen oder Klopfen nicht geöffnet wird, demoliert er die Tür, wenn er nicht gar vorher noch eine Handgranate durchs Fenster wirft. Dank dieser Brachialgewalt brauchen sich die US-Truppen über mangelnde Beliebtheit bei den Einheimischen nicht mehr zu wundern - im Gegenteil: Sie haben sich einen großen Teil der Eskalation der Gewalt in den Sunnitengebieten selbst zuzuschreiben. Auch in Rawah herrscht anderthalb Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins, acht Monate nach meinem Besuch, nichts als Krieg.
    Falludjah wird bei zweiwöchigen Kämpfen zwischen den Aufständischen und den US-Streitkräften im November 2004 fast vollständig verwüstet. 300 000 Einwohner fliehen vor den Amerikanern, etwa 1000 Zivilisten werden bei tagelangen Bombenangriffen und während der Offensive getötet. 10 000 Häuser sind total zerstört. Bereits ein knappes halbes Jahr zuvor - Anfang April - fallen dem ersten Versuch der Amerikaner, Falludjah zu erobern, 600 Einwohner zum Opfer. Angesichts der wütenden Proteste im Land hatte Zivilverwalter Bremer ein Ende der Offensive angeordnet.
    Für Iraks Sunniten wird die Stadt zum Symbol für Kriegsverbrechen an Zivilisten. Statt mit Gegnern zu verhandeln, würden die USA alles daransetzen, diese zu vernichten. In welchem Ausmaß die US-Streitkräfte bei den Kämpfen um Falludjah weißen Phosphor einsetzen, ist umstritten. Offiziell wird der Stoff zur Gefechtsfeldbeleuchtung genutzt, er kann aber auch als Brandbombe gegen Menschen verwendet werden. Sobald die Substanz mit Sauerstoff in Berührung kommt, beginnt sie zu brennen, zudem ist sie hochgiftig und zerfrisst das Muskelgewebe. Im Rahmen der Angriffe auf Falludjah haben Offiziere der US-Armee die Wirkung von weißem Phosphor beschrieben. Auch der Sprecher des Pentagons in Washington, Oberstleutnant Barry Venable, bestätigt gegenüber der BBC den Einsatz des Kampfmittels gegen Aufständische, betont jedoch, dass es sich um keine verbotene Waffe handle. 10 Offiziere der aufgelösten irakischen Armee haben mir erzählt, bereits bei den Gefechten um den internationalen Flughafen von Bagdad im Jahr zuvor seien hunderte Iraker durch Phosphorangriffe getötet worden. Ich versuche die Aussagen zu überprüfen, stoße aber nur auf Indizien, die auf den Einsatz von Phosphor deuten, diesen aber nicht eindeutig belegen. US-Einheiten hätten die Spuren verwischt, die Kampfzone sei zum Sperrgebiet erklärt worden, erklären Iraker die Schwierigkeit, ihre Behauptungen zweifelsfrei beweisen zu können.
    Persönlich gesehen habe ich während des Krieges auf einer Fahrt von Hilla nach Bagdad dreißig Kilometer südlich der Hauptstadt einen gewaltigen Feuerball nach einer Explosion. Damals vermutete ich, ein Benzintank sei getroffen worden. Rückblickend bin ich heute der Überzeugung, dass die US-Luftwaffe am 2. April eine »Mark-77-Feuerbombe«, eine Weiterentwicklung des laut UN-Konvention von 1980 verbotenen Napalms, eingesetzt hat. Möglicherweise wurden Feuerbomben genutzt, um den entscheidenden Vorstoß nach Bagdad vorzubereiten: Zwanzig Stunden nach der Detonation besetzten US-Truppen den Flughafen von Bagdad. Die Panzerspitze der 3. Infanteriedivision traf bei ihrem Vormarsch auf keine irakische Gegenwehr.

Tägliche Gewalt und Verbrechen der US-Streitkräfte
    Aber es sind nicht nur die militärischen Großangriffe auf Stadtteile oder ganze

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