Zwischen Krieg und Terror
Aufstandsbekämpfung im Vordergrund. Damit verschwimmen nicht nur die Trennungslinien zwischen den ISAF-Einheiten und den Truppen, die im Rahmen der Operation »Enduring Freedom« für die Terrorismusbekämpfung zuständig sind, sondern die einstige Friedensmission gerät auch zum Kampfeinsatz.
Afghanen, vor allem die Paschtunen in den Südprovinzen des Landes, unterscheiden nicht mehr zwischen den einzelnen Truppen. So darf es nicht überraschen, dass die in Serie gestarteten GroÃoffensiven der ISAF-Verbände nicht die erwünschten Erfolge bringen und das Scheitern der Angriffsaktionen in der Regel nicht eingestanden wird. Bis heute gilt die Anzahl der getöteten Gegner für viele der beteiligten Offiziere als Gradmesser des Erfolgs. Ãhnlich wie im Irak kommt es zu starken Ãbertreibungen, oder es werden gar die getöteten Zivilisten als Aufständische ausgegeben, um militärische Fehlschläge zu kaschieren. Solange die sozialen und kulturellen Grundlagen für eine Normalisierung der Alltagsbeziehungen zwischen ausländischen Soldaten und einheimischer Bevölkerung nicht geschaffen werden, wirkt Gewalt eher kontraproduktiv, und die ausländischen Soldaten sehen sich mit einer dramatisch angewachsenen Aggressionsbereitschaft konfrontiert. Das Wiedererstarken der Taliban, die militärisch zwar geschwächt, aber nicht besiegt werden konnten, verleiht dem Widerstand enormen Auftrieb. Auch an den Entwicklungen im Irak wird deutlich, dass sich der Aufbau neuer Strukturen nicht durch den Einsatz von Sicherheitskräften erzwingen lässt.
Bisher ist der Kampf gegen die ausländischen Soldaten vor allem auf den Süden Afghanistans beschränkt, doch könnte eine Eskalation des Irankonflikts oder gar dessen militärische Ausweitung zu einer ebenso schnellen Destabilisierung der Nordprovinzen führen. Nur die schnelle Ausweitung des Einsatzes ziviler Hilfsorganisationen in den ländlichen Regionen ganz Afghanistans dürfte verhindern, dass die Instabilität irakische AusmaÃe annimmt.
Am Verhalten der deutschen Soldaten in Nordafghanistan lässt sich erkennen, wie schleichende Veränderungen den Einsatz der Einheiten mehr und mehr bestimmen, ohne dass die Verantwortlichen offen darüber sprechen. Auch die Bundeswehrtrupps fahren schon lange nicht mehr in offenen Geländefahrzeugen durch die Dörfer. Im Haushalt der Bundeswehr sind höhere Ausgaben für die Ãberführung und Bestattung getöteter Armeeangehöriger vorgesehen. Denn die Angriffe auf deutsche Soldaten nehmen zu. Bis November 2005 zündeten Selbstmordattentäter ihre Bomben nur in der Hauptstadt Kabul, doch ein halbes Jahr später greift ein Attentäter erstmals im Einsatzgebiet der Bundeswehr in Nordafghanistan Deutsche in einem gepanzerten Fahrzeug an. Diese bleiben unverletzt, doch der Angreifer und zwei Zivilisten sterben.
Selbst wenn Kommandeure der ausländischen Truppen es als Erfolg werten, dass die Panzerung der Fahrzeuge Schlimmeres für ihre Leute verhindert - die Rechnung der Aufständischen geht auf. Aus Angst vor Anschlägen treten die fremden Soldaten zunehmend martialischer auf, schränken ihren Kontakt mit der Bevölkerung ein und isolieren sich damit immer mehr. So wächst auch die Bereitschaft der ausländischen Truppen, zur Waffe zu greifen. Das von der AuÃenwelt durch eine sechs Kilometer lange hohe Mauer abgeschirmte Lager der deutschen Soldaten nahe der Stadt galt zunächst als einer der am besten gesicherten Stützpunkte aller ausländischen Truppen in Afghanistan. Doch angesichts der zunehmenden Bedrohung empfindet man diesen Schutz als nicht mehr ausreichend, und es bestehen bereits Pläne, die Lagerbesatzung mit Schützenpanzern zu verstärken. Zusätzlich fordern die Offiziere vor Ort Luftunterstützung, um die Lage in Nordafghanistan besser erkunden zu können. Wie angesichts einer solchen »Einigelung« Kommandierende glauben, den Kontakt zur Bevölkerung aufrechterhalten zu können, bleibt ihr Geheimnis.
Offiziell wird die Aufstockung der ausländischen Kontingente damit begründet, sichere Räume zu schaffen, deren Kontrolle später den afghanischen Streitkräften überlassen werden soll. An der Erweiterung der Kampfaufgaben wird jedoch deutlich, dass sich die Truppen aktiv an dem US-Krieg gegen den Terror beteiligen. Gerade Länder wie Deutschland, die sich aus
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