Zwischen Krieg und Terror
seinem jetzigen Zustand seinen Preis hat: Ein Kilogramm Opium entspricht dem Gegenwert von 3000 Kilogramm Getreide - kein Wunder, dass viele Bauern den Weizenanbau aufgegeben haben und stattdessen ihre Rohopiumproduktion an Zwischenhändler verkaufen. Umgerechnet nicht mal 60 Euro bekommen die Bauern für ein Kilo, also ein Prozent dessen, was die gleiche Menge in Europa wert ist. Denn in Laboren wird aus zehn Kilo Opium unter Zugabe einer essigsäurehaltigen Substanz ein Kilo Heroin erzeugt. 2005 stammten 89 Prozent des weltweit erzeugten Opiums von den Mohnfeldern Afghanistans - was etwa 400 Tonnen Heroin mit einem Weltmarktwert von 30 Milliarden Euro sind, wenn dieses in Tütchen portioniert verkauft wird. Würden nur drei Milliarden davon tatsächlich nach Afghanistan zurückflieÃen, so wäre das bereits genauso viel wie die Gesamtsumme der Hilfsgelder, die die internationale Staatengemeinschaft im gleichen Zeitraum für Afghanistan bereitstellt. Bei einer kontinuierlichen Ausweitung der Drogenproduktion seit dem Sturz der Taliban gelangen stetig höhere Devisenerlöse aus dem Export des Opiums in das Land, und Macht und Einfluss der Drogenmafia nehmen zu.
In immer gröÃeren Teilen Afghanistans wird statt Getreide Mohn ausgesät, denn wie schon erwähnt, lohnt sich für die Bauern angesichts der niedrigen Getreidepreise der Weizenanbau nicht mehr. Dieser Preisverfall liegt mit darin begründet, dass Hilfsorganisationen und die Regierung in Kabul immer wieder Getreide verteilen müssen, um Hungerkatastrophen abzuwenden. Auch 2006 sind wieder zweieinhalb Millionen Menschen bedroht 2 , weil eine anhaltende Trockenperiode Ernteausfälle zur Folge hat. Es wird schwer werden, diesen Kreislauf - Ausweitung der Rohopiumerzeugung bei gleichzeitigem Rückgang der Getreideproduktion - zu durchbrechen. Denn die Verweigerung von Hilfslieferungen ist kein Mittel im Kampf gegen den Mohnanbau.
Auch drei Jahre nach dem Sturz der Taliban gehört Afghanistan trotz umfangreicher internationaler HilfsmaÃnahmen zu den ärmsten Ländern der Welt. Im »Human Development Index« der Vereinten Nationen rangiert das Land auf Platz 173 von 178 aufgeführten Ländern 3 , also noch hinter etlichen von Hunger und Bürgerkrieg zerrütteten Ländern Afrikas. Armut, schlechte Gesundheitsversorgung und Rechtlosigkeit sind allenthalben weiterhin verbreitet. Insbesondere für die Bewohner der Provinzen hat sich nach dem Ende des Talibanregimes wenig geändert.
Neuanfang heiÃt in vielen Fällen die Möglichkeit der Anschaffung von Handys, Fernsehern und billigen aus dem Ausland eingeführten Altwagen. Nach den Drogenbaronen verdienen die Autohändler das meiste Geld. Vielfach können Jugendliche die neue Freiheit des Fernsehempfangs nicht in ihren konservativen Elternhäusern erleben, sondern müssen sich die Billigproduktionen aus Pakistan oder Indien in Teehäusern oder Suppenküchen anschauen. Von Entwicklung spürt man kaum etwas, die Lebensverhältnisse bleiben katastrophal. Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt gerade 44,5 Jahre 4 , zwanzig Prozent der Menschen in den ländlichen Regionen leiden Hunger, noch mehr haben keinen Zugang zu sauberem Wasser, und jedes fünfte Kind stirbt, bevor es fünf Jahre alt wird. 5 Wer in solch einer Situation Familienväter mit moralischen Argumenten davon abbringen will, Mohn anzubauen, muss erfolglos bleiben.
Die unterschiedlichen Bemühungen, den Drgenanbau in Afghanistan zu stoppen, dürften als so gut wie gescheitert angesehen werden. Zwar werden immer wieder Mohnfelder niedergebrannt - 2005 sollen es insgesamt 25 000 Hektar gewesen sein -, nur werden diese Vernichtungsaktionen durch den Neuanbau auf weit gröÃeren Flächen zumindest ausgeglichen. Für 2006 zeichnet sich mit 6100 Tonnen eine Rekordernte ab. So wenig, wie Bauern sich durch rigorose MaÃnahmen von der Opiumerzeugung abhalten lassen, so wenig helfen bei ihnen Anreize vonseiten des Staates, sie zum Anbau anderer Pflanzen zu bewegen. Das Gewürz Safran wäre eine lukrative Alternative, da die Anbaubedingungen im Land gut sind. Doch in den abgelegenen Provinzen Afghanistans haben die Menschen keine Erfahrungen, wie dieses kostbare Produkt erfolgreich gewonnen und vermarktet werden kann.
So unterbanden die ISAF-Truppen zumindest am Anfang nicht den Mohnanbau, wie etwa in der Region Kundus. Anstatt den
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