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Zwischen Krieg und Terror

Titel: Zwischen Krieg und Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Tilgner
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Anfängen zu wehren, wurde das Problem ignoriert. Wenn jetzt gegen den Drogenanbau vorgegangen wird, zieht man sich damit eine noch größere Feindschaft der Bevölkerung zu. Vertreter der Bauern und Händler drohen dem Gouverneur immer wieder damit, dass die Familien wegzögen, wenn die Mohnernte zerstört werde. Ob auch Geld den Besitzer wechselt, um etwaige Einsätze von Polizei und Militär abzuwenden, ist nicht gesichert, aber zu vermuten, da in anderen Teilen Afghanistans Provinzverwaltungen mittels Zahlungen zur Duldung des Mohnanbaus bewegt werden. So ist es nur verständlich, dass ausländische Soldaten sich bei ihren ersten Einsätzen nicht mit solch brisanten Dingen befassen wollen.
    Wenn die ISAF-Truppen dann gleich zu Beginn ihrer Offensiven in den südlichen Provinzen den Kampf gegen kriegerische Drogenbarone ins Zentrum der Operation rücken, dann stellt ihr Vorgehen einen gravierenden Unterschied zu den Aktivitäten der im Norden des Landes stationierten Soldaten dar. Bei den Betroffenen muss diese Zwiespältigkeit in der Handlungsweise Misstrauen gegenüber den Absichten der fremden Truppen wecken. Generalleutnant David Richards, der NATO-Kommandeur, bezeichnet die Ausdehnung des NATO-Einsatzes auf Gebiete in Südafghanistan Anfang August 2006 als Maßnahme zur Eindämmung der Drogengeschäfte. »Wir sind mit einer ehrenvollen Aufgabe betraut und müssen die Menschen von der Geisel der Kriegsherren befreien.« 6 Damit räumt der britische General einerseits indirekt ein, dass es auch Spezialeinheiten der Streitkräfte der USA und Großbritanniens in den Jahren zuvor nicht gelungen ist, die Machenschaften der Drogenbarone zu unterbinden, während er andererseits wieder den militärischen Aspekt bei der Beseitigung des vielschichtigsten Problems der afghanischen Gesellschaft betont. Folglich können seine Aussagen bestenfalls als PR-Übung betrachtet werden. US-Soldaten werden abgezogen und durch NATO-Einheiten anderer Länder ersetzt, die den Kampf der Amerikaner fortsetzen. Ein derartiges Vorgehen wird nicht zu einer Lösung der Probleme, sondern zu einer gewaltsamen Verschärfung der Situation und geradezu zwangsläufig zur Erweiterung des NATO-Kontingents führen.
    Ohne eine bewusste Zäsur übernehmen die NATO-Truppen ein Erbe, an dem sie schwer zu tragen haben. Denn die Amerikaner haben mit ihrem rücksichtslosen Vorgehen zur Eskalation der Gewalt beigetragen. Immer wieder sterben Frauen und Kinder, vor allem, wenn die US-Luftwaffe den Einsatz der Bodentruppen im Kampf gegen Aufständische unterstützt. Mehrfach werden Gebäude bombardiert, die als Unterschlupf von Terroristen gelten, ohne zu bedenken, dass in ihnen auch Zivilisten leben. Seit dem Sommer 2005 steigt nicht nur die Zahl der getöteten Aufständischen bei den Kämpfen im Süden und Osten Afghanistans, sondern es sind auch zunehmend mehr Opfer unter der Zivilbevölkerung zu beklagen. Während die US-Offiziere beispielsweise am 23. Mai 2006 den Tod von 80 Aufständischen in dem Dorf Tolokan bei Kandahar verkünden, hält Abdul Kadar Nursai von der afghanischen Organisation »Unabhängige Menschenrechtskommission« dagegen, dass 34 Dorfbewohner und 35 Unbekannte begraben worden seien. 7 Damit können höchstens die Hälfte der Toten Aufständische gewesen sein. Talibankämpfer hätten in den Häusern Zuflucht gesucht, berichten Augenzeugen, anschließend sei das Dorf bombardiert worden. Zum wiederholten Male protestiert Präsident Karzai bei den US-Streitkräften, ihre Luftwaffe habe Wohngebiete bombardiert. Im Frühjahr 2006 fliegen amerikanische Piloten mit 340 Einsätzen mehr als doppelt so viele wie im Irak. Dort sind es im gleichen Zeitraum »nur« 160. 8
    Wie bei den Kämpfen in der Sunnitenregion Iraks werden so genannte »Bagatellfälle« mit zivilen Opfern meist überhaupt nicht bekannt, obwohl sie bei den Betroffenen eine enorme Verbitterung auslösen. Am 7. Juli 2006 wirft der afghanische Parlamentsabgeordnete Abdul Kalik der US-Armee vor, ohne Vorwarnung das Auto seiner Familie beschossen zu haben. Bei dem Angriff sei sein Schwager getötet und dessen Ehefrau sowie drei weitere Familienangehörige verletzt worden. Die Amerikaner sichern nach solchen Vorfällen zwar immer wieder eine rasche Untersuchung des Geschehens zu, doch in der Regel geht man den Vorwürfen nur

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