Zwischen Krieg und Terror
Afghanistan und nach der Zerstörung der Ausbildungslager von Al Kaida hat sich die Bedeutung eines solch direkten Kontaktes verringert und wird durch das Internet weitgehend ersetzt. In der Isolation wird der Hass gegen eine Gesellschaft geschürt, der sie die Verarmung in der Heimat anlasten. Die Auswanderung nach Europa erscheint als Resultat der Zerstörung alter Lebenszusammenhänge, die in der Fremde mit einem sklavenähnlichen Leben nicht neu aufgebaut werden können. Im Terror sehen sie einen Racheakt und gleichzeitig einen Schritt zur eigenen Befreiung, die die Taten im göttlichen Auftrag erscheinen lassen.
Erst durch die Kriege in Afghanistan und Irak kann diese neue Generation von Terroristen sich in der Diaspora als Teil eines weltweiten Netzes islamischer Krieger fühlen. Es handelt sich um den Endpunkt einer Entwicklung, die jene arabischen Brigaden initiiert haben, die sich am Krieg der afghanischen Mudjahedin gegen die sowjetischen Besatzungstruppen beteiligten. Zur Zeit des Kalten Krieges haben die USA völlig unterschätzt, dass die Freiwilligen aus islamischen Staaten, vor allem aus Saudi-Arabien, nicht nur gegen den Kommunismus, sondern gegen alles kämpfen wollten, was sich ihrer Ansicht nach wider den Islam richtet. In den Kämpfen in Afghanistan entwickelt sich der islamistische Terrorismus, mit dem Bin Laden zehn Jahre später den Westen bedroht. Mitglieder von Terrorzellen in Europa sehen sich danach als Teile einer globalen Konfrontation zwischen dem Islam und der westlichen Welt, die in ihren Augen die Unterwerfung der islamischen Heimat anstrebt.
Dabei fühlen sich Terroristen durch die Art, mit der die USA den Feldzug gegen den Terror führen, bestätigt. Wenn ein Verdächtiger von US-Soldaten 17 Tage lang nur Wasser und Brot erhält, andere eine Woche lang in Kleinstzellen eingesperrt werden, in denen sie weder stehen noch liegen können, durch dröhnende Musik am Schlafen gehindert oder nach systematischer Unterkühlung verhört werden, verwendet Al Kaida die Aufdeckung dieser Praktiken in ihrer Propaganda gegen den Westen. Durch die Errichtung des Gefangenenlagers Guantanamo, die Folterungen in Abu Ghraib und die Bombardierung von Wohnvierteln, deren Opfer nur zu oft Zivilisten sind, zerstören die USA ihre moralische Grundlage, auf die sie sich im Kampf gegen den Terror berufen. Es sind nicht die normalen Grausamkeiten eines Krieges, sondern die zusätzlichen MaÃnahmen, die die Hemmschwelle von Terroristen senken helfen. Asymmetrische Kriege zwischen Armeen, die bei ihren Einsätzen den Normen des Völkerrechts unterworfen sind, und Terrorgruppen, denen jedes Mittel recht ist, um Angst, Unsicherheit und Chaos zu verbreiten, eskalieren zu einem offenen Schlagabtausch, in dem Menschenrechte von beiden Seiten systematisch verletzt werden. In der Folter von Gefangenen durch US-Soldaten oder Geheimdienste sehen viele Moslems Angriffe auf Zivilisten. Das bietet Islamisten einen Vorwand, den Kampf in westliche Länder zu tragen. Auch so gewinnt Al Kaida Reputation und kann die eigenen Kampfformen besser rechtfertigen.
Für den Westen sind die Kämpfe im Irak wie eine Zeitbombe. Sollte das Land im Bürgerkrieg versinken und sich zu einem »failed state« entwickeln, können Terroristen vor allem in den an Syrien und Saudi-Arabien grenzenden Sunnitengebieten Ausbildungszentren für Freiwillige aus anderen Ländern aufbauen. Auch bei einer Befriedung Iraks steigt die Terrorgefahr für Europa, da im Lande ausgebildete, kampferprobte Kader versuchen werden, sich über Zwischenstationen im Kaukasus oder Algerien nach Europa durchzuschlagen. Dabei können sie auf ein Netzwerk zurückgreifen, das wesentlich besser ausgebaut ist, als es die Erfolgsmeldungen der US-Regierung in ihrem Kampf gegen den Terror darstellen.
Auch wenn europäische Geheimdienstvertreter wiederholt behaupten, Al Kaida sei vor allem eine Propagandaorganisation und verfüge nicht mehr über ein schlagkräftiges Kadernetz, so wird doch an den Anschlägen von London vom 7. Juli 2005 das Gegenteil deutlich. Zumindest zwei der Attentäter seien in Lagern der Al Kaida ausgebildet worden, behauptet der Vizechef Al Sawahiri. Obwohl die britische Polizei 10 000 Zeugenaussagen gesammelt und 12 000 Spuren verfolgt hat, wird auch ein Jahr nach dem Anschlag niemand angeklagt. Bis zur Aussage Al Sawahiris sind die Ermittlungsbehörden sogar
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