Zwischen Leidenschaft und Liebe
der westlichen Welt würde den Menschen an jenen Orten absurd erscheinen. Allein die Idee, daß man mit einer Person für immer verheiratet bleibt, ist schon lächerlich.« Er trocknete sich das Gesicht ab, ging zu dem mächtigen Schrank, der fast die ganze Seitenwand einnahm, und öffnete ihn. Claire hatte noch nie in diesen Schrank geschaut. Er war mit Schuhwerk gefüllt: weichen Stiefeln, steifen Stiefeln, Lederstiefeln, bemalten Stiefeln, bestickten Wildlederstiefeln.
»Oooh«, machte Brat, sprang auf und stellte sich neben ihn.
Trevelyan sah mit einem bewundernden Lächeln zu ihr hinunter.
»Darf ich ein Paar davon anprobieren?«
»Sie dürfen tun, was Ihnen gefällt«, erwiderte er mit schmeichelnder Stimme.
»Hör auf damit!« schrie Claire förmlich. »Sie ist ein Kind.«
Trevelyan zog ein Paar Stiefel aus dem Schrank und setzte sich, um sie anzuziehen. »In einigen Ländern wird ein vierzehnjähriges Mädchen schon als zu alt für eine Heirat betrachtet. Die Männer mögen sie gern jung haben, um sie nach ihren Vorstellungen zu erziehen. Wenn ein Mann eine Frau haben will, die ihm in allem widerspricht, was er sagt, kann er es ihr beibringen.« Er sah Claire an und hob eine Braue. »Ich habe noch von keinem Mann gehört, der sich so eine Frau wünscht, aber mir sind schon viele seltsame Dinge begegnet.«
Er zog einen Stiefel an. »Könntest du mir etwas erklären? Bevor du wußtest, daß ich Captain Baker bin, konntest du nicht genug Gutes über ihn sagen. Ich hörte von dir, daß er ein großer Mann sei, dem die Welt viel zu verdanken habe. Du hast geglaubt, daß Captain Baker - und nur Captain Baker - Pesha betreten haben kann, weil kein anderer Manns genug sei, um diese Leistung zu vollbringen. Aber jetzt, da du weißt, daß ich Captain Baker bin, scheine ich dir nichts recht machen zu können. Meine Zeichnungen, die du einst geliebt hast, verabscheust du jetzt. Du scheinst nicht mehr zu denken, daß meine Bücher erbauend sind - nun sind sie zu schmutzig, als daß deine frühreife kleine Schwester sie lesen dürfte. Und du meinst, daß ein Sufi-Meister nicht ausreichend legitimiert wäre, um eine schlichte Trauungszeremonie zu vollziehen.«
Sie sah von ihm weg, denn alles, was er sagte, stimmte. »Helden sind nicht wirklich«, sagte sie schließlich.
Er zog den zweiten Stiefel an und stampfte mit beiden Beinen auf den Boden auf. »Oh, ich verstehe; jetzt bin ich ein verdammter Held.«
»Fluch nicht in Gegenwart meiner Schwester.«
Er baute sich vor Claire auf und funkelte sie zornig an. »Ich werde, verdammt noch mal, fluchen, wenn ich das, zur Hölle, möchte. Du bist diejenige, die Lee mit Kincaid verheiraten wollte, und ich habe das für dich arrangiert. Ich habe sie ins Gartenhaus gelockt, sie dort eingesperrt und bin dann auf den verdammten Speicher gekrochen und habe ihre Kleider mit einem Haken an einer Stange zu mir hochgezogen. Du findest nicht einmal ein Wort des Dankes für diese gelungene Aktion. Im Gegenteil - du beschwerst dich nur.«
Als Claire nichts sagte und ihn mit einem eigensinnigen Blick bedachte, ging Trevelyan zu einer Truhe und riß den Deckel auf. Er kramte eine Weile darin herum und brachte eine Mappe mit Papieren zum Vorschein. »Wenn es dir nicht gefällt, daß Leatrice von einem Sufi-Meister getraut wurde -welche Religion würdest du dann vorziehen?«
Er zog ein paar Dokumente aus der Ledertasche. »Eine englische Religion? Hier habe ich Diplome, die mir bescheinigen, daß ich in vier englischen Religionen religiöse Handlungen vornehmen darf. Oder wäre dir eine amerikanische Religion lieber? Amerikanische Diplome sind am leichtesten zu bekommen. Dort muß man nur jemandem sagen, daß man >berufen< ist, und schon wird man als einer der ihren betrachtet.«
Er warf ihr etliche Zertifikate vor die Füße und sah dann wieder in die Ledermappe. »Oder möchtest du eine Religion aus Indien haben? Oder aus Arabien? Ich habe hier ein paar afrikanische Diplome. Das sind recht interessante Dokumente. Eine davon ist auf Rinde geschrieben und zwei auf Tierhäute. Ich denke nicht, daß du gern von mir wissen möchtest, was man als Tinte verwendete, um diese Diplome auszufertigen.«
Er warf den restlichen Inhalt der Mappe vor Claires Füße und sah sie an. »Sind das genügend Religionen für dich? Scheine ich nun ausreichend qualifiziert zu sein, eine Heiratszeremonie zu vollziehen?«
Sie blickte auf die Papiere hinunter, bückte sich aber nicht, um eines davon
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