Zwischen Leidenschaft und Liebe
um Leatrice und James die Möglichkeit zu bieten, auf dem anderen Tier zu reiten. Claire sah zu, wie der >Vikar< auf sein kleines Reittier stieg und davonritt. »Reite mit Harry zurück«, sagte Claire mit gepreßter Stimme zu ihrer Schwester.
»Und was machst du?«
»Das geht dich nichts an. Du müßtest schon lange im Bett liegen.«
»Du auch. Du willst diesen Mann besuchen, nicht wahr?«
»Warum, in aller Welt, sollte ich zu dieser späten Stunde noch einen Mann besuchen wollen? Ich möchte die Nachtluft genießen. Reite du mit Harry.«
»Ich werde alle deine Juwelen verstecken und Mutter von den Büchern erzählen, die du in dem Geheimfach in deinem Koffer aufbewahrst.«
»Du bist wirklich der abscheulichste Fratz, der mir jemals begegnet ist. Ich kann dich nicht dorthin mitnehmen, wo ich hingehen will. Es ist außerordentlich wichtig, daß das geheim bleibt.«
»Hat das etwas mit dem Mann zu tun, den du so oft im Westflügel besuchst?«
Claire funkelte sie an.
»Ich brauche Mutter doch nur zu erzählen, daß es da noch einen anderen Mann gibt, und sie wird . . .«
»Halt den Mund, und steig auf dein Pferd.«
Brat sah sie mit einem strahlenden Lächeln an. Das tat sie immer, wenn sie erreicht hatte, was sie wollte.
Es war kein langer Ritt zum Westflügel. Als Claire vom Pferd stieg, sah sie Brat an und versuchte ihre Schwester noch einmal dazu zu bewegen, ins Haupthaus zurückzukehren. Vergeblich natürlich. Sie war zu wütend auf Trevelyan, um sich jetzt auch noch über ihre Schwester ärgern zu können.
Sie stieg rasch die alte Wendeltreppe hinauf und bemerkte, daß in regelmäßigen Abständen brennende Fackeln an den Wänden angebracht waren, als ob Trevelyan einen Gast erwartete.
Sie ging durch das Zimmer mit den Schreibtischen. Brat folgte ihr auf den Fersen und sah sich mit großen Augen im Zimmer um. Da hingen Kleider, Masken und Speere von Trevelyans Reisen an den Wänden. Und Oman trat am Durchgang zum Schlafzimmer zur Seite und lächelte Brat an, als sie an ihm vorbeiging. Das Kind erwiderte sein Lächeln mit einem Grinsen.
Trevelyan befand sich in seinem Schlafzimmer. Er stand vor einem Spiegel, vor sich eine Schüssel mit Wasser, und versuchte seinen falschen Bart zu entfernen. Er hatte bereits die Soutane abgelegt und die Watte, mit der er einen Bauch vorgetäuscht hatte. Er trug eine eng anliegende Kniehose aus Rehleder und ein weites Leinenhemd; seine Beine waren von den Knien hinunter nackt. Die Kniehose im Stil des achtzehnten Jahrhunderts mußte aus den Koffern eines Vorfahren stammen.
Er drehte sich um und lächelte Claire an, als sie ins Zimmer kam. Sein Blick verriet ihr, daß er ein Lob für das erwartete, was er im Gartenhaus vollbracht hatte.
»Wie konntest du das nur tun?« fragte sie ihn wütend. »Du bist genausowenig ein Geistlicher wie ich. Die beiden sind nicht verheiratet.«
Er ließ ein kurzes Lachen hören und blickte dann hinter sie. »Ist das deine schöne kleine Schwester?« Er ging an Claire vorbei und studierte Sarah Ann einen Moment. »Man hat mir berichtet, was für ein bezauberndes Kind Sie sind, aber man hat mir nicht mal die Hälfte der Wahrheit gesagt.« Er nahm Brats rechte Hand und küßte erst den Rücken und dann die Innenfläche.
»Trevelyan!« schnaubte Claire ihn an. »Was denkst du dir eigentlich dabei? Sie ist noch ein Kind.«
»Sie ist im Begriff, sich zu einer Frau zu entwickeln«, erwiderte er, ohne Brats Hand loszulassen. Brat sah ihn mit großen Augen an, als würde sie sich ihm jeden Moment an den Hals werfen.
Claire entriß Trevelyan die Hand ihrer kleinen Schwester.
Trevelyan zwinkerte Brat zu, kehrte zu dem Spiegel zurück und zerrte wieder an seinem falschen Bart. »Was hast du vorhin gesagt?«
»Daß du dich so benommen hast, als hättest du das Recht, die beiden zu trauen. Die beiden gehen heute abend in Mr. Kincaids Haus, in der Meinung, sie wären verheiratet. Sie sind es aber nicht.«
»Ist das alles? Verdammt!« fluchte er, als mit dem Bart auch ein Stück Haut abzugehen drohte. »Ich bin ein Sufi-Meister, wenn ich dich daran erinnern darf. Möchtest du mein Diplom sehen? Es ist viereinhalb Meter lang und sehr hübsch.«
»Ja«, sagte Claire unwillkürlich, bevor sie nachdachte. »Ich meine, nein. Wir müssen sie rechtmäßig trauen lassen und sie zu echten Eheleuten machen.« Sie konnte nicht eine Sekunde länger zusehen, wie er sich mit seinem falschen Bart abmühte. »Setz dich hin, und laß mich das machen«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher