Zwischen Leidenschaft und Liebe
öffnete die Tür, befahl einem Lakaien, ihm das Dinner im blauen Salon zu servieren, und gab Anweisungen, daß ihn niemand stören dürfe.
»Und jetzt, meine Liebe, erzähl mir, womit Vellie dich so aufgeregt hat!« Er wollte wissen, wieviel sein Bruder Claire erzählt hatte und wieviel sie über seinen Verwandtschaftsgrad wußte.
Sie begann mit einer wahren Redeflut. Harry hatte sie immer für ein kleines stilles, mundfaules Ding gehalten - nach seinem Verständnis eine ihrer besten Eigenschaften -, aber jetzt bombardierte sie ihn mit einer Fülle von Ausdrücken, die ihn auf erhebliche Lücken in seinem Wortschatz aufmerksam machten. Sie erzählte ihm, daß sie einige Tage mit Trevelyan verbracht hatte. Sie berichtete ihm von ihrem Besuch mit Vellie bei dem alten MacTarvit. Sie erzählte ihm von ihren gemeinsamen Spaziergängen, den Mahlzeiten und Vellies Büchern, die sie gelesen hatte.
Sie unterbrach ihre Erzählung nur, als das Dinner auf dem großen Tisch im Salon serviert wurde. Nachdem sich der Lakai zurückgezogen hatte, begann Harry zu essen, während Claire im Raum umherlief und weitererzählte.
»Du weißt ja nicht, was für eine Bedeutung Captain Baker für mein Leben hatte. Ich habe seine Werke studiert. Ich habe sein Leben studiert. Ich weiß eine Menge über ihn.«
Obwohl sie ihn mit einer Flut von Informationen überschüttete, blieb es Harry ein Rätsel, was, um Gottes willen, Trevelyan getan hatte, um ihr die Fassung zu rauben. War sie so empört, weil er sie belogen hatte? Oder weil er seine wahre Identität noch immer geheimhalten wollte?
Erst als sie ihm von der Entdeckung der Zeichnungen berichtete, die Trevelyan von ihr angefertigt hatte - von diesen schrecklichen Karikaturen, für die Vellie berüchtigt war -, begriff er. Als Harry zum erstenmal die Skizzen gesehen hatte, die Trevelyan von ihm gemacht hatte, war er beleidigt gewesen wie nie zuvor. Trevelyan hatte ihn als kleines Büblein mit Ringellocken dargestellt, das sich an seine Mutter klammerte. Manchmal hatte Vellie ihm das Gesicht seiner Mutter aufgesetzt oder der Gestalt seiner Mutter sein Gesicht.
Harry wollte Claire erklären, daß Trevelyan jeden karikierte. Harry hatte Zeichnungen gesehen, mit denen sich Vellie selbst karikiert hatte, und sie fast bösartig gefunden. Trevelyan stellte sich oft als Narr dar - als einen Mann, der stets den falschen Leuten vertraute und immer verraten wurde.
Aber etwas hielt Harry davon ab. Er hatte nicht gewußt, daß Claire so viel Zeit mit seinem Bruder verbrachte. Er hatte angenommen, daß sie tagsüber tat, was Frauen eben so machten. Es war ein Schock für ihn, entdecken zu müssen, daß sie tage- und nächtelang mit ihm zusammengewesen war und sich sogar von ihm die Geheimgänge hatte zeigen lassen.
»Trevelyan kann sehr grob sein«, sagte Harry mit vollem Mund. »Aber die Frauen mögen ihn in der Regel.«
»Ich mochte ihn auch. Ich betrachtete ihn als Freund, aber er hat mich nur benutzt. Er studierte mich. Er schrieb über mich, als wäre ich eine von seinen Wilden, deren bizarre Gewohnheiten er beobachten und aufzeichnen muß.«
»Möchtest du nicht etwas von diesem Roastbeef haben? Es ist exzellent zubereitet.«
Claire setzte sich an den Tisch, und Harry legte eine Scheibe Roastbeef auf ihren Teller, aber sie rührte nichts an. »Kannst du mir verraten, was ihn so kalt, so gefühllos gemacht hat?«
Ihre Frage machte ihn betroffen. Trevelyan und gefühllos? Bei Gott - er kannte keinen zornigeren, gefühlsbetonteren Menschen als Trevelyan!
»Warum ist er hier? Warum hast du ihn bei dir aufgenommen?«
»Was hat er dir über seine Verwandtschaft mit der Familie erzählt?« Harry hielt den Atem an und wartete auf ihre Antwort. Trevelyan hatte zu ihm gesagt, daß er das Herzogtum nicht haben wolle, aber er brauchte nur seine Meinung zu ändern, und er, Harry, saß auf dem Trockenen. Er würde zwar etwas Geld von seiner Mutter bekommen, aber sonst nichts. Das bedeutete, er würde gar nichts haben, wenn er seine Erbin verlor - was er nicht zu tun gedachte.
»Er sagte, er sei ein Vetter - aber nicht welchen Grades.«
»Ja, er ist mit mir verwandt - wie auch all die anderen Leute, die in diesem Haus wohnen.«
»Und du sorgst für sie«, sagte Claire.
»Ich tue mein Möglichstes«, erwiderte Harry bescheiden.
Claire verließ ihren Platz am Tisch und begann wieder im Raum umherzuwandern. »Warum hält er seine Identität geheim?«
Harry nahm sich Zeit für die Antwort. »Er
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