Zwischen Leidenschaft und Liebe
wurde, als er neun Jahre alt war, aus dem Haus geschickt.«
»Man schickte ihn auf ein Internat?«
»Nein. Soweit ich weiß, hat Trevelyan nie eine öffentliche oder private Schule besucht.«
»Warum schickte man ihn dann aus dem Haus?«
Harry zuckte leicht mit den Achseln. »Das passierte ein oder zwei Jahre nach meiner Geburt, und deshalb weiß ich es nicht so genau. Man erzählte mir, er sei ein schwieriges Kind gewesen, habe sich immer mit seinem älteren Bruder gestritten, und stets wäre Trevelyan der Anstifter gewesen.« Harry lächelte. »Als die beiden Jungen einmal mit ihrem Vater in Frankreich waren und dort eine Krankheit in der Stadt ausbrach - eine Seuche oder dergleichen, das weiß ich nicht genau - kamen nachts Männer mit Karren, die die Leichen aufsammelten und wegbrachten. Trevelyan und sein älterer Bruder bestachen einen dieser Kärrner, damit sie ihn auf seinen nächtlichen Runden begleiten durften. Man erzählte mir, daß in der Grube, in die sie die Leichen warfen, eine blaue Flamme gebrannt habe.«
»Ja, das paßt zu ihm. Er wurde von seinem Vater wegen solcher Jungenstreiche aus dem Haus geschickt?«
»Seine Mutter schickte ihn aus dem Haus. Sie brachte ihn bei ihrem Vater unter.« Harry schluckte. »Der alte Mann wurde auch >der Admiral< genannt. Er soll ein großer Zuchtmeister gewesen sein, und man erhoffte sich von ihm, daß er Trevelyan ein wenig Disziplin beibrachte.«
»Aber das schaffte er nicht.«
»Nein. Trevelyan wollte nie etwas tun, wozu andere ihn zwangen. Ich glaube, es gab eine Menge Streit zwischen ihm und dem Admiral. Ich weiß, daß die beiden sich schließlich haßten. Als Vellie sechzehn war, verließ er den Admiral und trat in die Armee ein.«
»Als Frank Baker?«
»Ja. Der Admiral wollte, daß Trevelyan sich bei der Marine bewarb, aber Trevelyan mochte keine Schiffe und auch nicht das Meer. Am Ende kaufte sich Trevelyan selbst sein Offizierspatent bei der Armee. Und damit sein Großvater ihn nicht finden konnte, trat er unter einem anderen Namen in der Armee ein. Ich denke, daß seine Tarnung zunächst nur einer von seinen Jugendstreichen gewesen ist, später jedoch sehr wichtig für Vellie werden sollte. Er wollte seinem Großvater Paroli bieten. Der hatte nämlich prophezeit, daß aus Vellie nie etwas werden würde, daß er zu nichts tauge und auch ein Nichts wäre, wenn er sich nicht auf unseren Familiennamen berufen könne. Ich glaube, Vellie wollte seinen Großvater widerlegen.«
»Das ist ihm wohl auch gründlich gelungen. Captain Baker hat sich als großer Mann erwiesen.«
»Für einige vielleicht.« Harry runzelte die Stirn. Diese Frau gehörte ihm, nicht seinem Bruder. Er drehte sich auf seinem Stuhl um und lächelte sie an. Harry wußte sein gutes Aussehen zu nützen.
Claire kam an den Tisch und setzte sich neben ihn.
»Nun verrate mir mal, warum du so viel Zeit mit meinem ... Vetter verbracht hast. Gibt es denn nicht genügend Beschäftigung für dich hier im Haus?«
»Ich schätze, ich habe mich ein bißchen gelangweilt.« Sie blickte auf ihre Hände hinunter. Sie mochte in seinen Augen nicht als eine Frau dastehen, die sich beschwerte. Sie wollte nicht, daß Harry etwas Schlechtes von ihr dachte. »Nur ein bißchen gelangweilt.« Sie sah zu ihm auf. »O Harry, wann werde ich deine Mutter kennenlernen?«
»Wann immer du willst«, erwiderte er zuversichtlich. Doch insgeheim hatte er da seine Zweifel. Im Vergleich mit seiner Mutter war Trevelyan, was Sturheit anlangte, der reinste Waisenknabe.
»Harry, ich möchte mehr Zeit mit dir verbringen. Ich will, daß es mit uns wieder so wird, wie es in London gewesen ist.
Ich möchte, daß wir gemeinsam etwas unternehmen, Ausflüge machen, miteinander reden. Ich möchte, daß wir uns als Liebespaar zeigen, was wir doch tatsächlich sind.«
»Ja, natürlich.« Darüber mußte er ein Wörtchen mit Trevelyan reden, dachte Harry. Er hatte Claire schließlich in London schon genug den Hof gemacht und gemeint, jetzt wieder sein eigenes Leben führen zu können. Er hatte seine Arbeit getan. Er war nach London gefahren, weil er gehört hatte, daß dort eine hübsche kleine amerikanische Erbin zu haben war, hatte sie kennengelernt und für sich gewonnen. Und nun mußte er, weil sich sein Bruder eingemischt hatte, weiter um sie werben.
»Und ich will etwas Zeit mit deiner Schwester verbringen.«
Harrys Miene hellte sich bei diesen Worten auf. »Mit Leatrice? Aber natürlich - du kannst mit ihr soviel Zeit
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