Zwischen Leidenschaft und Liebe
beschäftigen. Das Leben eines Mannes ist nichts wert, wenn er in der Zeit, die er auf Erden weilt, nichts vollbracht hat.« Das hatte er mal irgendwo gelesen und freute sich, daß er es jetzt zitieren konnte. »Woran hast du denn gedacht?«
Claire blickte aus dem Fenster. Es war dunkel draußen; aber die Vorhänge waren noch nicht zugezogen. Sie konnte ihr eigenes Bild im Glas sehen und Harrys hübsche Gestalt, die sich auf dem Stuhl räkelte und Wein trank. Sie drehte sich zu ihm um.
»Ich möchte alle deine Güter besichtigen. Ich möchte, daß du mich deinen Aufsehern oder Vormännern oder wie du sie nennst, vorstellst. Ich möchte, daß du mir zeigst, wie dieser riesige Betrieb, den du leitest, funktioniert.«
Harry schenkte ihr ein schwaches Lächeln. Er würde einen Vormann von Bramley nicht erkennen, wenn er ihm im Salon begegnete. Er würde Charles bitten müssen, ihm in dieser Angelegenheit beizustehen. »Natürlich. Es wird mir ein Vergnügen sein, dir alles zu zeigen. Noch etwas?«
Vielleicht verlangt sie jetzt von mir, daß ich ihr den Mond vom Himmel herunterholen soll, dachte Harry. Wenn auch nur jemand in Zukunft eine Andeutung machen sollte, daß er sich die Millionen seiner Frau nicht verdient hätte, würde er diesen Hundesohn über den Haufen schießen.
Ihre Augen weiteten sich. »Harry, du verwaltest doch diesen Besitz und die Güter, die zu deinem Herzogtum gehören, nicht wahr?«
Oh, diese Amerikaner mit ihrer abscheulichen Arbeitsmoral, dachte Harry. Sie waren durch die Bank davon überzeugt, daß ein Mann arbeiten mußte - eine Ansicht, für die er keinerlei Verständnis aufzubringen vermochte. »Natürlich verwalte ich meinen Besitz. Das nimmt doch einen beträchtlichen Teil meiner Zeit in Anspruch. Hat jemand mit dir darüber gesprochen, weil du mich danach fragst?«
»Trevelyan sagte, du würdest deine Güter genausowenig verwalten wie ...« Sie lächelte. »Es ist nicht so wichtig, was er gesagt hat. Das Kapitel ist abgeschlossen. Nun beginnt mein neues Leben als Herzogin. Ich muß viel lernen und freue mich schon darauf. Könnten wir morgen in aller Frühe ausreiten? Ich möchte meine Arbeit damit beginnen, daß ich mir einen Überblick über deine Güter verschaffe. Ich meine, ich möchte mir alles aus dem Blickwinkel eines Arbeiters ansehen, verstehst du?«
»Ja, du kannst dir gerne meinen Besitz ansehen. Ich werde mit dir losreiten, sobald es hell wird. Oder möchtest du lieber erst ausschlafen, bevor wir aufbrechen?« fragte er hoffnungsvoll.
»Nein, ich brauche nicht viel Schlaf. Ich würde außerdem gern deine Mutter kennenlernen. Und ich möchte dich bitten herauszufinden, ob dieser James Kincaid noch lebt und falls ja, wo er jetzt wohnt.«
Harry nahm einen kräftigen Schluck Wein, um nicht laut zu stöhnen. »Ich bin sicher, daß der Mann tot ist. Ich glaube gehört zu haben, daß er von einer Kutsche überfahren wurde. Er hatte wohl nicht darauf geachtet, wo er hintrat. Meinst du nicht, daß es Zeit wäre für dich, auf dein Zimmer zu gehen, meine Liebe?«
»Ja, das sollte ich wohl. Harry, ich habe das Gefühl, daß jetzt alles gut werden wird. Ich weiß gar nicht, was ich mir dabei gedacht habe, diesem Mann so viel Zeit zu widmen, wenn ich sie mit dir hätte verbringen können. Morgen werde ich mein neues Leben beginnen.« Sie legte ihm die Arme um den Hals und küßte ihn auf die Stirn, während er ihren Arm tätschelte. Sie verließ das Zimmer.
Harry blieb sitzen, wo er saß, bis ein Diener kam, um das Geschirr abzuräumen. »Rufen Sie Charles zu mir.«
»Ich glaube, Mr. Sorenson hat sich bereits zur Ruhe gelegt, Sir.«
»Dann holen Sie ihn aus dem Bett!«, schnaubte Harry. »Er muß mir sagen, wer diesen Besitz verwaltet! Und wie er verwaltet wird.« Er trank noch mehr Wein und fragte sich, ob seine Vorfahren auch so hart für das Geld, das sie erheiratet hatten, gearbeitet hatten.
Als Claire am nächsten Morgen aufwachte, fieberte sie förmlich vor Erwartung. Schon der Gedanke, daß sie den Tag mit Harry verbringen konnte, genügte, um sie glücklich zu machen. Sie ging nach unten, wo man ihr jedoch sagte, daß Harry noch nicht aufgestanden sei, weil er sich am Abend zuvor um seine geschäftlichen Angelegenheiten habe kümmern müssen und deshalb sehr spät ins Bett gekommen wäre. Der Lakai versicherte Claire, daß Harry sonst immer schon vor den Vögeln aufstünde. Etwas schien den Mann an seiner Erklärung zu erheitern, denn es gelang ihm nicht, ein Feixen
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