Zwischen Leidenschaft und Liebe
verbringen, wie du möchtest. Sie mag solche Sachen, die auch dir gefallen.«
Sie rückte näher an ihn heran, um ihm ins Gesicht sehen zu können. »Und was sind das für Sachen, die mir gefallen?«
»Bücher. Geschichte. Und vor allem die Schotten.«
Sie lächelte, und Harry atmete erleichtert auf. Diese Frauen und ihre verdammten Liebesproben! Darin waren sich doch all seine Mätressen gleich: Es genügte ihnen nicht, daß ein Mann bei ihnen war - nein, sie wollten von ihm auch noch Beweise haben, daß er sie liebte!
»Ich weiß, daß Leatrice gern liest. Und was liebt sie sonst noch?«
Harry griff nach seinem Weinglas. Er hatte nur wenige Mahlzeiten in seinem Leben genossen, bei denen nicht jemand hinter seinem Stuhl gestanden hatte, der ihn bediente. Nun sah er sich in die besonders mißliche Lage versetzt, sich den Wein selbst einschenken zu müssen. »Du meinst, außer James Kincaid?«
Claire setzte sich auf seinem Schoß sehr gerade auf. »Wer ist James Kincaid?«
Harry hätte sich die Zunge abbeißen können. »Niemand. Es sollte nur ein Witz sein. Glaube mir, er ist ein Niemand.
Vermutlich ist er bereits gestorben. Tatsächlich bin ich davon überzeugt, daß er schon tot ist.«
»Wer war er dann?«
Harry leerte sein Glas und streckte die Hand nach der Flasche in dem Silberkübel auf dem Ständer neben dem Tisch aus. Er konnte sie nicht erreichen, ohne Claire den Rücken zuzudrehen, aber er hielt es für klüger, das in diesem Moment nicht zu tun. Frauen in einem seelisch labilen Zustand kamen bisweilen auf die seltsamsten Ideen. Wenn er sich von Claire wegdrehte, um an die Weinflasche heranzukommen, mochte sie vielleicht denken, daß er den Wein mehr liebte als sie.
»Lee verliebte sich in ihn, als sie noch ein junges Mädchen war. Oder vielleicht hat sie ihn schon immer geliebt. Ich weiß es nicht. Ich war damals noch ein Kind, als es passierte.« Er konnte sich nicht daran erinnern, was passiert war, ehe seine Schwester sich zum ersten und letzten Male ihrer Mutter widersetzt hatte, aber er wußte sehr genau, was danach vor sich gegangen war. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn es einige Zimmer in dem entfernten Teil des alten Hauses gab, in denen man noch heute das Echo von Leatrices Schreien hören konnte.
»Was geschah dann?«
»Eine Verbindung wäre absolut unpassend gewesen. Lee ist eine Herzogstochter, wie du weißt. Kincaid war .. .« Er sagte nichts mehr, weil Claires Gesicht diesen verklärten Ausdruck annahm, den alle Frauen bekommen, wenn sie eine Romanze zu wittern meinen.
»Kincaid ist - war, falls er inzwischen verstorben ist — die schrecklichste Person, die man sich vorstellen kann. Sehr wunderlich. Er wanderte umher und redete mit sich selbst. Er hatte ständig Papiere bei sich, die ihm aus den Taschen fielen. Die Dorfkinder pflegten ihm nachzulaufen und Spottlieder auf ihn zu singen. Mutter hatte recht, daß sie ihrer Tochter verbot, diesen Mann zu heiraten.«
»Aber Leatrice hat auch keinen anderen Mann geheiratet?«
Harry schüttelte den Kopf. Er wollte Claire nichts von dem Krieg erzählen, der damals zwischen Mutter und Tochter getobt hatte. Lee hatte gesagt, wenn sie nicht den Mann heiraten dürfe, den sie heiraten wollte, würde sie niemals in eine Ehe einwilligen. Mutter hatte gedroht, wenn Lee ihr nicht gehorchte und den Mann heiratete, den die Herzogin für sie aussuchte, würde sie Leatrice das Leben zur Hölle machen. Lee hatte erwidert: »Lieber das, als einen Mann zu heiraten, den ich hasse, wie du es getan hast, und so ein Leben zu führen, wie du es geführt hast.«
Das war die letzte störrische Reaktion von Lee gewesen. Harry wußte, daß seine Mutter Lees Widerstandsgeist schon lange gebrochen hatte, denn seine Mutter war, soweit Harry das zu beurteilen vermochte, stärker als jeder andere Mensch auf Erden.
Claire stand auf, und Harry griff sofort nach der Weinflasche. »Harry«, sagte Claire, »ich muß etwas zu tun haben. In Amerika war ich immer beschäftigt.«
Nach Harrys Meinung waren alle Amerikaner immer beschäftigt. Sie konnten sich offenbar nicht vorstellen, daß man auch mal stillsitzen und nichts tun mußte. Sie taten entweder immer etwas oder redeten davon, was sie demnächst tun würden. Er hatte von einer schrecklichen amerikanischen Frau gehört, die sich damit brüstete, ihre Gäste in knappen fünfzig Minuten durchs Dinner gejagt zu haben.
»Natürlich möchtest du etwas tun, Liebling. Wir brauchen doch alle Aufgaben, die uns
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