Zwischen Leidenschaft und Liebe
sah sie Ackerland, das brachlag, und Pflüge, die in Scheunen verrosteten. Und sie entdeckte niemanden, der auf den Feldern arbeitete.
Sie fragte Harry, warum das so sei, und bekam die verwirrende Antwort, daß die Leute, die diese hübschen Häuser gepachtet hatten, Tierliebhaber seien. Sie konnte nicht verstehen, was Tierliebe mit einem landwirtschaftlichen Betrieb zu tun hatte.
Auch die bewaldeten Flächen erstaunten sie. Für sie war Holz ein sich regenerierendes Ernteprodukt. Man fällte Bäume und setzte neue; man verfuhr mit den Wäldern nicht anders als mit Getreide. Der einzige Unterschied bestand darin, daß Bäume länger brauchten, bis sie Profit brachten. Diese Wälder sahen aus, als hätte man zwanzig Jahre oder länger gar nichts unternommen, um sie zu pflegen. Das Unterholz wucherte wild und überall entdeckte man Brombeersträucher.
Sie fragte Harry, warum man die Bäume so beließ, wie sie waren, und was man unternahm, um Holz zu gewinnen. Mr. Sorenson erklärte ihr, daß das Unterholz Füchsen und Rebhühnern ein gutes Versteck bieten würde und Claire zeigte sich erstaunt, daß man auf diesem Besitz Füchse und Rebhühner züchtete.
Harry sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren. »Die Füchse brauchen wir für die Jagd, und die Rebhühner werden geschossen. Wir verkaufen sie nicht.«
Claire begriff, daß sie wieder einmal wie eine Amerikanerin gedacht hatte. Sie hatte schon eine Fuchsjagd miterlebt und wußte daher, daß die Engländer gern auf bewegliche Ziele schossen.
Als sie zum Haus zurückkehrten, war es später Vormittag. Ein mürrischer Harry entfernte sich, um etwas zu essen, und Claire ging auf ihr Zimmer, um ein anderes Kleid anzuziehen. Sie hörte dieser schrecklichen alten Miss Rogers nicht zu, die sich wieder einmal über alles beschwerte. Miss Rogers war davon überzeugt, daß sich das Leben nach starren Terminplänen zu richten habe, und Claire hatte den Tagesablauf aus für Miss Rogers’ unerfindlichen Gründen wieder einmal gründlich durcheinandergebracht.
»Lassen Sie mich in Ruhe«, sagte Claire zu ihr, aber als die alte Frau dort stehenblieb, wo sie war, drehte Claire sich zu ihr um und funkelte sie so wütend an, bis sie aus dem Zimmer ging.
Claire setzte sich in ihrer Unterwäsche an den Frisiertisch und betrachtete sich im Spiegel. Sie schien rein gar nichts von dem Leben ihres zukünftigen Gatten zu wissen. Sie verstand weder die Leute, die hier wohnten, noch das Land, das sie bewohnten.
Sie hatte hungrige Menschen gesehen, aber auch brachliegende Felder, auf denen man Getreide oder andere Früchte hätte anbauen können. Selbst die Brombeeren, die man hätte ernten und verkaufen können, verfaulten auf dem Boden. Sie hatte Pferde gesehen, die besser untergebracht waren als die Menschen.
Sie legte den Kopf in die Hände. Sie gehörte nicht zu den Menschen, die meinten, daß alle das gleiche haben sollten. Sie war das Kind ihres Großvaters. Sie glaubte an harte Arbeit und daran, daß jene, die am härtesten arbeiteten und die besten Ideen hatten, auch das meiste Geld machten.
Aber Geld brachte auch Verantwortung mit sich. Ihr Großvater hatte immer gesagt, daß die besten Ressourcen die menschlichen Arbeitskräfte seien, und er hatte sich stets um seine Arbeiter gekümmert und deswegen nie Probleme mit Streiks und Sabotageakten gehabt wie andere Arbeitgeber.
Claire versuchte sich einzureden, daß in Schottland alles anders sei, aber sofort standen ihr die zerlumpten Kinder vor Augen, die für sie Blumen gepflückt hatten. Das Wort >Clan< bedeutete >Kinder<. Diese Leute waren der hier herrschenden Tradition nach Harrys Kinder, aber er benahm sich nicht so, als wäre er ihr Vater.
Sie versuchte sich dagegen zu wehren, Harry in einem schlechten Licht zu sehen. Sie konnte von Harry doch nur Gutes denken. Wenn sie ihn liebte, dann liebte sie ihn so, wie er wirklich war - nicht so, wie sie ihn haben wollte.
Sie stand auf und ging zum Schrank, um sich ein Kleid herauszuholen. Vielleicht wußte Harry es eben nicht besser, vermutlich hatte Trevelyan recht, und Harry war eben so erzogen worden. Diese Art, mit dem Land und den Leuten zu verfahren, war alles, was er kannte.
Nach dem Lunch wollte sie mit ihm reden. Vielleicht würde er ihr erlauben, ein paar Veränderungen vorzunehmen, sobald sie verheiratet waren. Sie sah keinen Grund, warum Bramley kein gewinnbringendes Unternehmen sein sollte. Sicher wünschte sich Harry das auch - er wußte nur nicht, wie
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