Zwischen Leidenschaft und Liebe
trotzige Was-schert-mich-der-Teufel-Grinsen des neunjährigen Jungen.
»Sie müssen ein Zimmer füllen.«
Sie lächelte. »Vier Schrankkoffer.« Sie streckte den Arm aus und berührte seine Wange. »O Vellie, bist du wirklich und wahrhaftig hier? Bist du sicher, daß du kein Geist bist? Tante May sagte, sie wäre deinem Geist begegnet.«
»Ich bin ihr einmal am frühen Morgen über den Weg gelaufen, als ich durch die Geheimgänge schlich. Ist denn keines von diesen alten Relikten inzwischen gestorben ? Sie waren doch schon Fossile, als ich noch ein Junge war. Ich kann mir nicht vorstellen, wie alt sie inzwischen sind.«
»Mutter sähe es wohl gern, wenn sie sterben würden, davon bin ich überzeugt. Aber sie scheinen ihr diesen Gefallen nicht tun zu wollen. Onkel Cammy hat die Schwester von Harrys Verlobter für seine Theaterspiele eingespannt. Ich frage mich, ob sie sich um die Kostüme zanken.«
»Nach allem, was ich über Brat hörte, kann ich mir vorstellen, daß sie als Siegerin daraus hervorgeht.«
Leatrice sah ihn aus schmalen Augen an. Sie überwand allmählich den Schock über seine Rückkehr und begann zu begreifen, was sein Erscheinen hier bedeutete. »Was weißt du von dem Kind? Hast du Claire gesehen? Hast du mit Harry gesprochen?«
Trevelyan drehte sich auf den Rücken, verschränkte die Hände unter dem Kopf und sah zur Decke. »Was hältst du von Harrys kleiner Amerikanerin?«
Leatrice schlug ihm mit dem Kissen direkt ins Gesicht und versuchte, ihn noch einmal zu treffen, aber er entriß ihr das Kissen und hielt ihre Arme fest.
»Was ist denn in dich gefahren?«
»Du bist schon seit Wochen hier, hast Harry gesehen und vermutlich auch seine Verlobte, aber mich hast du in dem Glauben gelassen, du seist tot. Wie konntest du mir das antun? Ich habe dich mehr geliebt als jeder andere auf der Welt. Zweiundzwanzig Jahre lang habe ich dir mindestens einmal in der Woche geschrieben, manchmal sogar fünf- oder sechsmal pro Woche. Ich habe dir alles erzählt, was in meinem Leben passiert ist. Ich habe dir mein Herz ausgeschüttet. In all diesen Jahren bist du mein engster und manchmal mein einziger Freund gewesen. Aber dann gehst du weg, um dein geliebtes Pesha zu finden, und ich höre nichts mehr von dir. Mehr als zwei Jahre keine einzige Nachricht von dir, bis ich in der Zeitung las, du wärest tot. Ich habe das geglaubt! Weißt du, wie sehr ich um dich getrauert habe? Weißt du, wieviel ich um dich geweint habe? Und nun stelle ich fest, daß du gar nicht tot bist. Du bist nicht nur nicht gestorben, sondern lebst nur wenige Meter von mir entfernt, schleichst durch die Gänge und redest mit der schrulligen alten Tante May - redest mit Harry, der dich nicht einmal richtig kennt, wenigstens nicht so, wie ich dich kenne, und jetzt. . .«
Sie brach ab, als er sich aufsetzte, sich gegen das Kopfteil lehnte und sie in seine Arme zog.
»Ich dachte, es wäre besser für alle, wenn ich sie in dem Glauben ließ, ich sei tot.«
»Wie kann man nur so etwas Dummes sagen?« erwiderte sie und schniefte. »Wie konntest du denken, es wäre besser, wenn wir dächten, du seist tot?« Noch während sie diese Worte sagte, wußte sie schon die Antwort. Sie hatte bis zu diesem Moment nicht daran gedacht: Der Tod ihres ältesten Bruders machte Trevelyan zum Herzog.
Sie bewegte sich von ihm fort, um ihn anzustarren.
»Das Herzogtum«, flüsterte sie.
»Genau.«
Leatrice legte ihren Kopf an seine Schulter. Das änderte tatsächlich einiges. »Es wird Mutter nicht gefallen«, sagte Leatrice leise. »Es wird ihr nicht gefallen, daß Harry kein Herzog ist.«
»Ich will den Titel nicht haben«, sagte Trevelyan leise. »Ich wollte ihn nie. Harry ist ein vollendeter Herzog. Er schießt, er gibt Feste, und er kann im Oberhaus sitzen und dort mit den feinsten Lords sein Nickerchen machen. Ich würde nie in diese Rolle hineinwachsen. Ich möchte die Verantwortung des Titels nicht übernehmen.«
»Aber Vellie ...«, begann sie.
Er zog ihren Kopf an seine Brust und strich über ihr Haar. »Nein, ich will sie nicht und habe nicht vor, sie zu übernehmen. Harry sagte, er würde jede meiner Expeditionen finanzieren, und das ist alles, was ich mir wünsche. Ich habe in meinem Leben noch viel zu tun, und dazu gehört nicht, daß ich in einem unserer Häuser verschimmle, verheiratet mit der reichsten Erbin, die ich auftreiben konnte.«
Es war schon das zweitemal, daß er auf Claire anspielte. »Hast du sie kennengelernt? Hast du
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