Zwischen Leidenschaft und Liebe
nicht gestört. Und was hast du dir gedacht, als du in diesen Harem eingedrungen bist? Sind diese Frauen nicht mit einem anderen verheiratet ?«
»Sie waren nicht mit meinem Bruder verheiratet.«
Leatrice lächelte. Denn trotz all seiner Abenteuer war seine Einstellung im Grunde genauso konventionell wie die anderer Männer.
»Und außerdem mochte sie mich nicht.«
Leatrice blickte ihn entsetzt an.
»Sie sagte, ich wäre alt und krank und schwach.«
Leatrice legte ihren Kopf wieder an seine Brust, damit er nicht sah, wie sie lachte. Aber er spürte, wie ihr Körper erschüttert wurde.
»Lach du nur, aber sie wollte wirklich nichts mit mir zu tun haben. Sie ist verrückt nach Harry. Sie spricht dauernd von ihm und hält ihn für vollkommen.«
»Harry?«
»Harry.«
Sie schwiegen, während sie diesen grandiosen Witz genossen. Dann fuhr Trevelyan fort und erzählte ihr von seinen anderen Begegnungen mit Claire. »Ich wußte, daß ich ihr hätte sagen müssen, daß sie gehen soll, aber sie wirkte so einsam. Sie kann dieses Haus nicht verstehen, und Harry ignoriert sie total.«
Leatrice verstand das Gefühl der Einsamkeit nur allzugut. Obwohl das große Haus voller Leute war, gab es keine Kameradschaft. Zumindest nicht für sie. Sie wollte nicht in den Salons mit ihren Tanten zusammenhocken und mit ihnen über andere Leute schwatzen. Und sie konnte das Haus nicht verlassen, denn dann konnte sie ja nicht die Glocke ihrer Mutter hören, die sie zu sich rief.
»Ich weiß, wie sie sich fühlt.«
Sie lauschte wieder Trevelyans Bericht, und dabei hörte sie mehr als nur seine Worte. Sie hörte etwas in seiner Stimme, das ihr verriet, daß er eine Schwäche für Claire hatte. Sie hörte ihn sagen, daß Claire alle Bücher von Captain Baker gelesen hab e.»Alle«, sagte er, und dabei schwang Stolz in seiner Stimme mit.
Sie lauschte seiner Beschreibung jenes außerordentlichen Tages, den er mit Claire bei Angus MacTarvit verbracht hatte. Leatrice hatte seit ihrer Kindheit keinen von den MacTarvits mehr gesehen - seit jenem Tag nicht mehr, als sie mit Vellie wieder einmal durch die Büsche schlich, um Angus’ Whisky zu stehlen, und von dem alten Mann erwischt wurde. Er hatte ihr große Angst eingeflößt damals. Aber er hatte ihr eigentlich nur gedroht und sie dann wieder laufenlassen. Vellie hatte nur gelacht und gesagt, der alte Mann mache nur einen großen Wirbel und sonst nichts.
Nun hörte Leatrice, daß Claire einen ganzen Tag mit dem alten Mann verbracht und mit den Bauern getanzt hatte. Leatrice hätte nicht mehr überrascht sein können, wenn Trevelyan ihr erzählt hätte, Claire habe sich mit den Feen im Hochmoor getroffen und zur Teestunde Nektar mit ihnen getrunken.
»Was hat sie denn sonst noch gemacht?« flüsterte Leatrice mit ehrfürchtiger Stimme.
Trevelyan lächelte. »Sie hat sich so an den Whisky gewöhnt wie ein Matrose, seltsame Speisen gegessen und sie köstlich gefunden, ihre Schwester bestochen, damit sie die Familie anlog und ihr die Möglichkeit verschaffte, mich während meines Fieberanfalls zu pflegen. Und sie brachte Harry dazu, mit ihr den Besitz zu besichtigen und sie seinen Arbeitern vorzustellen.«
Leatrice sah Trevelyan verwirrt an. »Wie konnte Harry das tun? Er würde keinen seiner Angestellten erkennen, wenn er über einen stolperte. Ich bezweifle, daß Harry den Namen seines eigenen Kammerdieners kennt, und der Mann betreut Harry nun schon seit zehn Jahren.«
»Offenbar hat unser schlauer kleiner Bruder Charles mitgenommen. Der alte MacTarvit erzählte mir, Claire hielte Harry für einen überaus bescheidenen Mann, weil er seinen Angestellten die meiste Zeit Auskunft geben ließ, wenn Claire ihn etwas fragte.«
Leatrice lachte, und da kam ihr zu Bewußtsein, daß sie schon sehr, sehr lange nicht mehr gelacht hatte. Das einzige Licht in ihrem Leben waren die Briefe ihres Bruders gewesen - Briefe, die ihr gestatteten, seine Abenteuer nachzuempfinden und sich damit wenigstens ein Leben aus zweiter Hand zu verschaffen. Er hatte ihr damals sehr wenig von ihrem Großvater geschrieben, nur hin und wieder erwähnt, daß sein Rücken wund war von der letzten Tracht Prügel des alten Mannes, und daß er mager war, weil er tagelang von Wasser und Brot hatte leben müssen. Doch zumeist waren seine Briefe voll von dem gewesen, was er beobachtete und unternahm.
»Was hat sie noch alles gemacht?«
Trevelyan holte tief Luft. »Sie hat sich mit unserer Mutter getroffen.«
»Die kann sehr
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