Zwischen Leidenschaft und Liebe
immer noch an diesem einen Buch arbeitet.«
Er sagte das mit all der Verachtung und dem Spott, den ein fruchtbarer Autor für jemanden übrig hat, der jahrelang an einem einzigen Buch schreibt. »Worum ging es gleich wieder? Ach, um einen Tudor, glaube ich. War es nicht Heinrich der Achte und seine Frauen?«
»Es war Heinrich der Siebte, und es ging um seine Wirtschaftspolitik«, schnaubte Leatrice. »Und du kannst aufhören, dich über James lustig zu machen. Um eine Biographie zu schreiben, bedarf es einer gründlichen Quellenforschung. Du brauchst ja nur irgendwo hinzureisen und kannst dann darüber schreiben. Er muß viele Stunden am Tag mittelalterliche Manuskripte lesen. Und er muß diese Manuskripte erst mal finden, ehe er sie . . .« Sie funkelte ihn wütend an. »Was amüsiert dich denn so?«
»Du hast seit Jahren nicht mehr an ihn gedacht, nicht wahr? Wie weit ist er denn mit seinem Buch?«
Leatrice blickte zur Seite und errötete. »Als ich das letzte Mal von ihm hörte, war er gerade beim sechsten Jahr von Henrys Regentschaft«, sagte sie leise.
»Und worum geht es in seinem Buch gleich wieder? Ich weiß nicht, ob ich dich vorhin richtig verstanden habe. Er schreibt über die Frau Heinrichs des Sechsten?«
»Du!« rief sie, ehe sie ihm ein Kissen ins Gesicht schleuderte.
Trevelyan fing es in der Luft auf. »Jahrelang habe ich in deinen Briefen nur von James Kincaid gehört. Du hast mir, soweit ich mich erinnere, jeden Atemzug beschrieben, den der Mann in seinem Leben gemacht hat. Ich fing schon an zu glauben, er wäre ein Gott. Jedenfalls habe ich noch nie einen solchen bewundernswerten Mann wie ihn getroffen. Auf meinen Reisen bin ich ja, weiß Gott, vielen Menschen begegnet, doch keinem, der auch nur annähernd an den großen James Kincaid heranreichen würde. Es fiel schwer zu glauben, daß es der gleiche Bursche war, der nur ein paar Meilen von Bramley entfernt wohnte und uns aus seinem Garten jagte, weil unsere Stimmen angeblich die Vögel erschreckten.«
Leatrice mochte Trevelyan jetzt nicht ansehen.
»Aber du hast schon seit Jahren nicht mehr an ihn gedacht, wie? Ich fragte mich stets - schon als Kind -, warum wir immer an Kincaids Haus vorbeigingen. Erinnerst du dich noch, wie wir uns hinter Bäumen versteckten und Erdklumpen auf ihn warfen?«
»Ich habe so etwas nie getan.«
Trevelyans Gesicht verlor sein Lächeln, und er langte nach unten und nahm ihre Hand. »Warum hast du ihn nicht geheiratet? Hat er sich denn nicht erklärt?«
»Doch. Er fragte mich schon, als ich sechzehn war. Und hat mich gefragt, als ich siebzehn war und achtzehn.« Sie seufzte. »Aber er hat mich nicht mehr um meine Hand gebeten, als ich zwanzig war.« Ihre Stimme senkte sich. »Und wenn ich jetzt mit Mutter in der Kutsche ausfahre und ihm zufällig begegne, blickt er zur Seite. Er haßt mich.«
»Zweifellos hat unsere teure Mutter . . .«
Leatrice stand auf. »Ja!« sagte sie. »Ja, ja, ja. Es war die schlimmste Szene meines Lebens, und ich möchte nicht mehr daran denken. Nun bist du hier, Vellie, von den Toten zurückgekehrt und sagst mir, daß du mich mit James verheiraten möchtest.«
»Nicht ich. Harrys Amerikanerin.«
Leatrice holte tief Luft und sah einen Moment auf ihre Hände hinunter. Sie kannte nur zu gut die unbarmherzige Härte, mit der ihre Mutter Ungehorsamkeit strafte; diese Amerikanerin kannte sie nicht. Nicht auszudenken, was ihre Mutter machen würde, wenn sie, Leatrice, noch einmal versuchte, sich gegen ihren Willen aufzulehnen, und sich nicht durchsetzen konnte.
Aber wenn sie es noch einmal versuchte und Erfolg damit hatte ... Sie mochte nicht daran denken, was das für sie bedeuten konnte. Sie konnte dieses Haus verlassen - weg von dieser entsetzlichen Glocke, weg von den ständigen Forderungen und Beschwerden ihrer Mutter . . .
Sie sah Trevelyan an: »Was muß ich tun?«
16. Kapitel
Als Claire am dritten Abend nach ihrem Zusammentreffen mit ihrer zukünftigen Schwiegermutter auf ihr Zimmer ging, passierten zwei Dinge auf einmal. Der Butler kam zu ihr und brachte ihr ein Kuvert auf einem silbernen Tablett, und das lebensgroße Porträt in Claires Zimmer schwang zur Seite und Brat, mit Spinnweben in den Haaren und auf den Schultern, erschien.
»Hallo«, rief Brat dann, freudig überrascht.
Claire wollte sie zurechtweisen, aber das mochte sie nicht vor dem Butler tun. Sie versuchte sich so zu benehmen, als käme Brat regelmäßig durch dieses Porträt auf Besuch in ihr Zimmer.
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