Zwischen Liebe und Intrige
wurde ihr glühend heiß. Wie kam sie
nur darauf, sich dort im Hof Leons kleinen Sohn vorzustellen? Und,
was noch merkwürdiger war – wieso löste das Bild
mütterliche Gefühle in ihr aus?
Sie
wollte doch kein Kind von Leon! Allein der Gedanke …
"Sadie?
Du hörst ja gar nicht zu!"
Raoul
klang gereizt, und schuldbewusst drehte sich Sadie zu ihm um.
"Entschuldigung.
Wo waren wir stehen geblieben?"
"Ich
sagte gerade, dass ich mich noch lange mit Leon unterhalten habe,
nachdem du weg warst. Ich habe ihm erklärt, dass er Kompromisse
eingehen muss, wenn er ernsthaft an Francine und deiner Mitarbeit
interessiert ist."
Sadie
sah ihn ungläubig an.
"Das
hast du getan?" rief sie überrascht. Sie hatte mit
Beschimpfungen, sogar mit Drohungen von Raouls Seite gerechnet.
"Ja.
Wir waren uns nicht immer einig über Francine, Sadie, aber was
ich heute von dir gehört habe, fand ich in einigen Punkten sehr
überzeugend. Das habe ich Leon gesagt."
Der
unerwartete Beistand ihres Cousins machte Sadie vorübergehend
sprachlos.
"Ich
… ich verstehe", brachte sie hervor. "Und wie hat
Leon reagiert?"
"Zunächst
wollte er natürlich nicht darauf eingehen. Glaub mir, Sadie, es
hat ganz schön lange gedauert, ihn zu überzeugen.
Schließlich habe ich ihm klargemacht, dass er einlenken muss,
wenn er dich nicht endgültig zur Feindin haben will."
"Das
wird er besonders gern gehört haben", sagte sie trocken.
"Aber
er ist Geschäftsmann. Er ist bereit, dich Parfüms auf
natürlicher Basis herstellen zu lassen, wenn du für
Francine arbeitest."
"Auf
natürlicher Basis?" hakte sie nach. Ihr Herz schlug wie
wild vor Freude und Erleichterung. Raoul hatte wider Erwarten ihre
Partei ergriffen, er hatte Leon davon überzeugt, dass sie Recht
hatte!
"Den
genauen Anteil natürlicher und synthetischer Inhaltsstoffe wirst
du noch mit ihm aushandeln müssen. Und er verlangt Zugang zu der
Rezeptur für Myrrh."
"Meinetwegen,
aber die Rechte gebe ich nicht aus der Hand", erwiderte sie
prompt.
Raoul
schwieg, und sein Gesicht nahm einen betrübten, geradezu
gequälten Ausdruck an.
"Eigentlich
wollte ich es gar nicht erwähnen, Sadie. Schließlich habe
ich auch meinen Stolz." Er wandte sich ab und rieb sich die
Augen. "Aber leider war ich nicht ganz aufrichtig zu dir. Ich
stecke in finanziellen Schwierigkeiten, und wenn ich Francine nicht
an Leon verkaufe, dann …"
"Was
dann?" fragte Sadie nervös. Sie hatten einander nicht
gerade häufig gesehen, aber Raoul war immer noch ihr Cousin.
Auch wenn sie seinen Lebensstil nicht gutheißen konnte, war sie
doch gerührt von der Art, wie er sie Leon gegenüber in
Schutz genommen hatte.
"Francine
ist so gut wie bankrott, und ich bin es auch. Darüber hinaus
habe ich gewisse Verbindlichkeiten …"
"Verbindlichkeiten?"
wiederholte sie argwöhnisch.
"Also
gut, ich habe Schulden", räumte Raoul mit einer
verzweifelten Geste ein. "Ich hatte gehofft, es dir nicht sagen
zu müssen, aber die Umstände zwingen mich dazu. Mein
Schicksal liegt in deiner Hand, Sadie. Wenn du mir nicht hilfst,
indem du dem Verkauf zustimmst und dich bereit erklärst, für
Francine zu arbeiten, bin ich ruiniert."
Sadie
war alarmiert. Eine warnende innere Stimme sagte ihr, dass Raoul
nicht ehrlich zu ihr war, doch aus Loyalität zu ihm hörte
sie nicht darauf. Trotzdem zögerte sie mit der Antwort. "Ich
… ich …"
Raoul
wirbelte zu ihr herum und rief begeistert: "Du machst es? Danke,
Sadie! Vielen Dank." Er nahm sie in die Arme und küsste
sie, außer sich vor Freude, auf beide Wangen. "Ich kann
dir gar nicht sagen, was das für mich bedeutet", sagte er
und schien zu Tränen gerührt.
"Mir
fällt eine Last von den Schultern, wenn dieser Vertrag
unterzeichnet ist … und ich von hier verschwinden kann",
setzte er hinzu und sah sich angewidert in dem verstaubten Zimmer um.
"Du
willst weg?"
"Ja.
Das Haus ist Teil der Verkaufsmasse, und ich bin froh darüber.
Ich will mir endlich ein modernes Apartment anschaffen. Aber zuerst
besuche ich meine alte Patentante in Paris. Sie lebt in recht
ärmlichen Verhältnissen, und ich will ihr ein wenig unter
die Arme greifen."
Er
räusperte sich. "Ich werde Leon deine Entscheidung
mitteilen. Du weißt gar nicht, wie sehr du mir geholfen hast,
Sadie! Jetzt kann ich mich endlich um Tante Amelie kümmern. Und
du, Sadie – du wirst vermutlich nach Hause fahren wollen. Du
hast bestimmt noch viel zu erledigen, bevor du anfängst, für
Francine und Leon zu arbeiten."
Nachdenklich
runzelte
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