Zwischen Mond und Versprechen
einbrechende Dunkelheit ab. Arm in Arm gingen wir darauf zu und suchten die Menschenmenge nach bekannten Gesichtern ab. Doch die hungrigen Flammen lenkten uns immer wieder ab, bis wir wie hypnotisiert einfach nur auf das wechselnde Farbenspiel des Feuers starrten.
Die Faszination, die ich empfand, hatte etwas Ursprüngliches. Waren wir je über den Stand der Höhlenmenschen hinausgewachsen, die gegeneinander wie auch gegen die Elemente gekämpft hatten? Ich stellte mir vor, wie ich als Höhlenmensch neben einem Feuer kauerte und auf das bedrohliche Heulen der Wölfe lauschte, die irgendwo im Dunkel der Nacht lauerten und gierig und mit glühenden Augen ihre Beute jagten. Die flammende Hitze prickelte auf unserer Haut und rötete unsere Wangen. Plötzlich spuckte und knallte das Feuer und trieb uns auf eine respektvolle Distanz zurück.
Amy knurrte und rief: » Feuer. Böse. Viel Gefahr! «
Ich kicherte. Als ob sie meine Gedanken gelesen hätte.
Aus der Menge auf der anderen Seite des Feuers löste sich ein Schrei. Andere stimmten in den Schrei ein und dann sah ich etwas Rundes, das sich, von einer dicken Stange getragen, über die Köpfe der Menge schob. Der Schrei » Burn the Bulldogs! « , war jetzt deutlich zu hören, und ich sah, dass das runde Ding ein…
» Seht mal, die Plastik eines Bulldoggen ! « Wer, wenn nicht Sarah, hätte das richtige Wort dafür gefunden.
» Burn the Bulldogs! Burn the Bulldogs! Burn the Bulldogs! « Die Plastik wurde ins Feuer gestoßen, Funken sprühten, dann fiel sie als giftgrüne Flamme in sich zusammen.
» Wahrscheinlich haben sie Salz dazugetan « , flüsterte Amy ehrfürchtig. » Das macht die Flamme so bunt « , erklärte sie.
Ich nickte nur und ließ mich vom erregten Summen der Menge mitreißen.
Er stand auf der anderen Seite der leckenden Flammen. Er beobachtete mich mit Augen, die leuchteten, als würden sie die Flammen widerspiegeln und gleichzeitig von innen heraus glühen. Pietr starrte mich an, sein leises Lächeln ließ sein Gesicht noch wärmer leuchten als das Feuer. Das lodernde Orange der Flammen tänzelte über die Kette an seinem Hals und hüpfte zwischen dieser und seinen glänzenden Augen hin und her.
Ich wollte ihm auf keinen Fall begegnen. Mein Entschluss wurde von dem Gedanken an Sarahs Brief bestärkt. Sie stand auf ihn. Ich musste meine pubertären Leiden also für andere unerreichbare Ziele aufheben. Hauptsächlich für Derek. » Kommt, wir suchen uns ein paar gute Plätze für das Spiel « , schlug ich vor.
Wir gingen zur Tribüne und stiegen ganz weit hinauf, bis ich mir sicher war, dass ich genug Abstand zu Pietr aufgebaut hatte.
» Meine Güte, Jessie « , beschwerte sich Amy, » sind wir auf der Flucht oder was? «
» Nein. Was für ein Glück. Hier ist es perfekt « , verkündete ich und sah mich um.
» Aber nur mit Fernglas « , maulte Amy.
» Oh. « Sarah setzte sich neben mich, ein Lächeln auf ihren frisch geglossten Lippen. » Das ist wirklich perfekt. « Sie verstaute ihren dicken Roman in der Tasche. Bestimmt würde sie ihn noch an diesem Abend fertiglesen.
Ich folgte ihrem Blick und sah Pietr, der sich gerade fünf Reihen vor uns niederließ. » Oh. Ja. «
Amy schaute etwas ratlos drein und setzte sich an meine andere Seite.
» Sarah hat festgestellt, dass sie sich für Pietr Rusakova interessiert « , erklärte ich.
» Nicht nur sie « , grinste Amy und beugte sich zu Sarah hinüber. » Ich habe ihn aber zuerst gesehen « , sagte sie und zwinkerte verschmitzt.
Sarah schnaubte in gespielter Empörung.
» Du stehst doch eher auf seinen Bruder Max « , sagte ich zu Amy. » Außerdem gehst du mit Marvin, und eigentlich… « Da fiel Amy mir ins Wort.
» Und ja, eigentlich hat Jessie ihn zuerst entdeckt. «
10
A ber Jessie behauptet, dass sie Pietr gar nicht will « , stellte Sarah richtig. » Sie steht immer noch auf Derek. Also ist er noch zu haben. «
Ich beugte mich nach vorn und strich mit der Hand über meine Schuhspitzen. Ich hoffte inständig, dass Sarah recht hatte. Ich wollte immer noch Derek– oder nicht? Also, nur weil er meine Gefühle nicht erwiderte, nur weil er…
» Jessica muss mit den Martern einer unerwiderten Liebe kämpfen « , sagte Sarah und tätschelte meinen Arm.
Genau. Unerwidert. Trotzdem war er immer noch mein Schwarm. Mein Herz schlug immer noch für Derek. Dummes Herz. Dummes Mädchen. Aber manche Dinge konnten sich ändern, richtig? Mein Kopf dröhnte, wenn ich darüber nachdachte. Es
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