Zwischen Mond und Versprechen
stockendem Atem.
In das Bernsteinherz war die einfache aber unverkennbare Silhouette eines Hasen eingeritzt.
» Ja, also, das ist wirklich sehr interessant « , meinte ich.
Ich konzentrierte mich aufs Atmen. Aufs Denken.
Der Blick, mit dem Pietr mich ansah, brachte fast mein Herz zum Stillstand.
Erwartete er von mir, dass ich hier und jetzt sagte, dass die seltsame kleine Frau es gewusst haben musste– dass wir füreinander bestimmt waren–, dass wir unsere Maskerade der Freundschaft, die wir nur wegen Sarah aufrechterhielten, aufgeben sollten. Und das alles nur, weil ich auf dem Schulball ein Hasen-Netsuke getragen hatte, den alten Talisman von meiner Mom, und jetzt auf einem Herz– wahrscheinlich einem Wolfsherz– eine komische Hasenschnitzerei auftauchte. Das war mir zu viel. Ich war noch keine siebzehn. Wie viele Dramen brauchte mein Leben noch?
» So « , sagte ich, ohne mit der Wimper zu zucken, » wir wollten uns doch mit der Biologie der Hunde beschäftigen, oder? « Ich drängte mich zwischen den verdutzten Rusakovas durch und plumpste zwischen Amy und Sarah auf das kleine Sofa. Sie sahen mich fragend an und ich verdrehte die Augen– was heißen sollte, es ist nicht wichtig, aber ich erzähle euch später davon.
Die Rusakovas standen immer noch wie versteinert da, dann sahen sie sich gegenseitig an. Catherine murmelte: » Max, bitte gieß du den Tee ein. Ich traue meinen Händen nicht. « Stumm befolgte Max ihren Wunsch, goss Tee ein und reichte die Tassen herum.
Ich sah mir die Teekanne mit dem kobaltblauen Zwiebelmuster an und versuchte es mit ein wenig Smalltalk. » Das ist eine wunderschöne Teekanne, Catherine. «
» Lomonosov-Pozellan « , entgegnete sie so knapp, dass ich lieber nichts mehr sagte.
Ich nahm einen Schluck Tee, dann legte ich meinen Schulrucksack auf meine Oberschenkel und stellte die Tasse vorsichtig auf meinen Knien ab.
» Oh, Catherine « , begann Amy, » anscheinend ist dir ein Teebeutel geplatzt. « Amy schwenkte ihre Tasse.
» Wir nehmen keine Teebeutel « , belehrte sie Catherine.
Ich sah sie an. Sie wechselte plötzlich ihren Gesichtsausdruck.
» Habt ihr ausgetrunken? « , fragte sie wieder ganz freundlich.
Wir nickten, weil wir nicht wussten, was wir sonst hätten sagen sollen.
» Prima « , sagte sie und erhob sich. » Alexi, du nimmst bitte Amys und Sarahs Tasse. Ich nehme meine und… « , sie streckte die Hand aus und nahm meine Tasse, » …deine. «
Max hielt ihr seine Tasse hin. » Hier. «
» Du kannst deine selber abräumen « , giftete sie ihn an. » Kommt, wir lassen sie jetzt allein, damit sie lernen können. « Ihr Tonfall machte klar, dass das nicht einfach ein Vorschlag war. Alexi und Max tauschten einen verschwörerischen Blick und gingen hinter Catherine hinaus.
Pietrs Tee stand unberührt auf dem Tisch.
Er stand immer noch in der Mitte des Zimmers, mit dem Rücken zu uns. Ich wusste, dass er über mein Verhalten nachdachte. Ich hatte einfach ignoriert, wie wichtig es für ihn war, dass ich die Matrjoschka geöffnet hatte– auch wenn ich keine Ahnung hatte, warum– und ich fragte mich, wie lange es dauern würde, bis er mir verzieh.
Ich holte mein Biobuch und das Arbeitsblatt aus meinem Rucksack und hoffte, er würde mir irgendwann verzeihen. » Ein Hundeleben « , las ich den Titel des Arbeitsblatts vor. » Früher sagte man, ein Jahr im Leben eines Menschen entspräche sieben Hundejahre. Es ist zwar richtig, dass Hunde schneller altern als Menschen, das Verhältnis von sieben zu eins trifft jedoch nicht ganz zu. «
» Pietr « , zwitscherte Sarah, » komm, setz dich doch. «
Es dauerte noch ein Weilchen, als hätte er sie nicht gleich verstanden, aber dann drehte er sich um und setzte sich zu uns. Zu Sarahs Füßen.
Ich versuchte zu ignorieren, wie gehorsam er ihren Anweisungen folgte, und las einfach weiter. » Fachleute sagen, dass Hunde mit einem Jahr körperlich ungefähr der Entwicklung eines fünfzehnjährigen Menschen entsprechen und mit zwei Jahren mit einem Vierundzwanzigjährigen vergleichbar sind. Nach vierzehn Jahren entspricht der Körper eines Hundes einem Achtzigjährigen. «
» Pietr, pass auf « , mahnte Sarah, » das kommt vielleicht in der nächsten Arbeit dran. «
Pietr hörte auf, an seinen Schnürsenkeln herumzuzupfen, und sah hoch. Natürlich nicht in meine Richtung. » Lies weiter « , sagte er.
Das tat ich auch. » Außer den unstrittigen körperlichen Auswirkungen des Alterns, zum Beispiel auf
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