Zwischen Mond und Versprechen
zwischen zwei Stühlen stehend. » Es gibt keinen Grund…«
» Das ist ja die Höhe « , schäumte Sarah. » Pietr ist sehr wohl ein Grund. Ein sehr guter Grund sogar « , fauchte sie.
» Es ist nichts… « , setzte ich mit der Lüge an. Die Worte kamen gegen meinen Willen aus meinem Mund.
» Alles in Ordnung, mein Spatz? « , rief Mr Luxom durch das Schiebedach.
» Ja, Daddy « , zwitscherte Sarah. » Pietr ist das Beste, das ich in meinem Leben habe… « , zischte sie mit unverminderter Wut weiter.
» Ich dachte, das sei der BMW , den du zu deinem achtzehnten Geburtstag bekommen sollst « , stichelte Amy.
Ich warf ihr einen warnenden Blick zu.
Sarah beachtete Amy nicht und funkelte mich böse an. » Du versuchst, ihn mir wegzunehmen « , beschuldigte sie mich verbittert, jedes Wort betonend.
Ich seufzte. » Nein. « Wenigstens eine ehrliche Antwort. » Ich versuche nicht, ihn dir wegzunehmen. «
» Aber was läuft dann zwischen euch? « , wollte sie wissen.
» Sieh mal « , klärte Amy sie auf, » Jessie versucht ständig, ihn in deine Richtung zu schieben, aber er ist hinter ihr her und lässt nicht locker. Sie kann echt nichts dafür. «
» Du denkst, du müsstest ihn in meine Richtung schieben? « Das Feuer in ihren Augen war erloschen und hatte einer Kälte Platz gemacht, die ich nur aus der Zeit vor dem Unfall kannte.
An jenem Tag, als ich Sarah das erste Mal im Krankenhaus besuchte (aus Gründen, die ich bis heute nicht richtig verstehe), hatten mich die Wärme und die Furcht in ihren Augen berührt. Damals konnte sie sich an nichts erinnern. Höchstens an ein paar Namen. An ein paar vereinzelte Dinge.
Jenny und Macie besuchten sie kurz, aber als sie sahen, wie kaputt ihr Körper war, nutzten sie ihre momentane Schwäche aus und behandelten sie, als wäre sie schon tot. Jenny angelte sich Derek, und ich blieb auf der Aufgabe sitzen, Sarah zu retten. Sie war, wie unsere Psychologielehrerin Miss Wyatt zu sagen pflegte, T abula rasa. Ein unbeschriebenes Blatt.
Die Sarah, mit der Amy und ich, vor dem Auto der Luxoms stehend, sprachen, war nicht mehr die Sarah, der ich geholfen hatte, die Überreste ihres zertrümmerten Gehirns zusammenzuflicken. Ihre Augen glitzerten eiskalt wie früher. Vor mir stand die Sarah, die das Wort Wiedergutmachung nicht kannte, weil ihr jegliches Schamgefühl abging. Ich erkannte sie sofort wieder. An diese Sarah erinnerte ich mich nur zu gut.
18
S arah lachte höhnisch. » Du glaubst doch nicht ernsthaft, du wärst eine Konkurrenz für mich? « Sie musterte die Farm, das Haus– alles was ein Teil von mir war. Dann lachte sie wieder mit unverkennbarer Grausamkeit. » Glaubst du etwa, damit könntest du ihn an dich fesseln? Eine verdreckte Farm, ein paar armselige Pferde und ein besserer Wohnwagen als Behausung? Das ist alles, was du hast und was du bist: ein Tagelöhner, der Leuten wie uns höchstens zuarbeitet– wenn wir überhaupt jemanden wie dich anstellen würden. Es kommt nicht darauf an, wie viel du weißt oder liest, es kommt auf Klasse an, auf die Herkunft. Und dir fehlt es an beidem. «
Gerade als ich mir einen verbalen Gegenschlag überlegte, veränderte sich der Ausdruck ihrer Augen und ich sah solch ein Elend, solch tragische Zerknirschung… Der ganze Hass, die ganze Wut schien sich in Nichts aufzulösen, wie Nebel, der von einem plötzlichen Wind vertrieben wird.
» Oh Gott, Jessica « , murmelte Sarah. » Manchmal weiß ich gar nicht mehr, was ich sage « , gestand sie mit Tränen in den Augen. » Als ob in meinem Kopf etwas kaputt wäre. Ichhöre diese Sachen– als würde jemand anderes sprechen–, und dann merke ich, dass ich diese Sachen selbst gesagt habe und nicht jemand anderes. Oh Gott, das tut mir so leid, Jessica. Ich habe es nicht so gemeint. Nicht ein Wort. «
Ich nickte, als würde ich ihr verzeihen. Ihre Worte hatten mich getroffen. Und mir war klar, dass sie es im Innersten ihres Herzens auch so gemeint hatte. Und zwar jedes einzelne Wort. Das war ihr nur nicht bewusst. Noch nicht.
Ich hatte mich selbst und sie belogen. Die Sarah, der ich unbedingt hatte helfen wollen, damit sie nach dem Unfall wieder ein Mensch werden konnte– das war nicht die richtige Sarah. Ich hatte vieles von ihr ferngehalten– wie gemein sie früher war, wie sie andere manipuliert hatte, wie sie viele Mitschüler psychisch und verbal fertiggemacht hatte. Wie sie die Angst und den Hass der anderen auf sich gezogen und sich wie über eine Auszeichnung
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