Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars
über den Saum ihres Kleides stolperte, stürzte und sich einen doppelten Beinbruch zuzog. Bis dahin hatte Tom Goodhugh fast wie früher ausgesehen. Mit anderen Worten: glücklich. Streeter neidete ihm das bisschen Glück nicht. Er vermutete, dass selbst arme Sünder im Fegefeuer gelegentlich einen Schluck Wasser bekamen, und sei es nur, damit sie den ganzen Schrecken ungestillten Dursts würdigen konnten, wenn er wieder einsetzte.
Die Flitterwöchner flogen nach Belize. Wetten, dass es dort die ganze Zeit regnet, dachte Streeter. Das tat es zwar nicht, aber Jacob verbrachte den größten Teil der Woche in einem heruntergekommenen Krankenhaus, litt an einem heftigen Brechdurchfall und kackte in Papierwindeln. Er hatte nur abgefülltes Wasser getrunken, sich aber ein einziges
Mal die Zähne mit Leitungswasser geputzt. »Mein eigener verdammter Fehler«, sagte er.
Im Irak fielen über achthundert US-Soldaten. Pech für diese Jungs und Mädels.
Tom Goodhugh bekam Gicht, begann zu humpeln, fing an, einen Stock zu benutzen.
Der diesjährige Scheck für den Überkonfessionellen Kinderfonds war verdammt hoch, aber Streeter reute das viele Geld nicht. Geben war seliger denn Nehmen. Das sagten alle guten Leute.
Im Jahr 2006 erkrankte Toms Tochter Gracie an Eiterfluss und verlor sämtliche Zähne. Außerdem verlor sie den Geruchssinn. An einem Abend kurz danach, bei Goodhughs und Streeters wöchentlichem Dinner (bei dem die beiden allein waren; Carls Betreuer war mit seinem Schützling auf einem »Ausflug«), brach Tom Goodhugh unvermittelt in Tränen aus. Statt Microbrews trank er jetzt Bombay Sapphire Gin und war ziemlich betrunken. »Ich verstehe nicht, was mit mir passiert ist!«, schluchzte er. »Ich komme mir vor wie … ich weiß nicht … wie der gottverdammte Hiob !«
Streeter umarmte und tröstete ihn. Er erklärte seinem alten Freund, dass die Wolken immer aufziehen, sich aber früher oder später wieder verziehen.
»Na ja, diese Wolken hängen schon beschissen lange hier!«, rief Goodhugh aus und hämmerte mit der geballten Faust auf Streeters Rücken. Aber das störte Streeter nicht. Sein alter Freund war nicht mehr so stark wie früher.
Charlie Sheen, Tori Spelling und David Hasselhoff ließen sich scheiden, aber in Derry feierten David und Janet Streeter ihren dreißigsten Hochzeitstag. Es gab eine große Party. Gegen Ende zu führte Dave seine Frau in den Garten. Er hatte ein Feuerwerk bestellt. Alle klatschten, nur Carl Goodhugh nicht. Er versuchte es, aber seine Hände
verfehlten sich. Schließlich gab der frühere Emerson-Student die Klatscherei auf und zeigte nur noch johlend in den Nachthimmel.
Im Jahr 2007 wurde Kiefer Sutherland wegen Trunkenheit am Steuer zu einer Haftstrafe verurteilt (nicht zum ersten Mal), und Gracie Goodhugh-Dickersons Ehemann kam bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Ein betrunkener Autofahrer geriet auf die Gegenfahrbahn, auf der Andy Dickerson aus dem Büro heimfuhr. Die gute Nachricht war, dass der Betrunkene nicht Kiefer Sutherland war. Die schlechte Nachricht war, dass Gracie Dickerson im vierten Monat schwanger und pleite war. Ihr Mann hatte seine Lebensversicherung gekündigt, um Geld zu sparen. Gracie zog wieder bei ihrem Vater und ihrem Bruder Carl ein.
»Bei ihrem Pech wird das Baby missgebildet geboren«, sagte Streeter eines Nachts, als er neben seiner Frau im Bett lag, nachdem sie miteinander geschlafen hatten.
»Still!«, rief Janet schockiert aus.
»Wenn man’s sagt, trifft’s nicht ein«, behauptete Streeter, und wenig später schliefen die beiden Schmusehäschen in enger Umarmung ein.
Der diesjährige Scheck für den Kinderfonds belief sich auf dreißigtausend Dollar. Streeter schrieb ihn ohne Gewissensbisse aus.
Gracies Baby wurde im Februar 2008 mitten in einem Schneesturm geboren. Die gute Nachricht war, dass es nicht missgebildet war. Die schlechte Nachricht war, dass es eine Totgeburt war. Dieser verdammte in der Familie liegende Herzfehler. Gracie - ohne Zähne, ohne Ehemann und ohne Geruchssinn - verfiel in eine tiefe Depression. Streeter fand, das beweise ihre grundlegende geistige Gesundheit. Wäre sie »Don’t Worry, Be Happy« pfeifend herumgelaufen, hätte
er Tom geraten, alle scharfen Gegenstände im Haus wegzusperren.
Ein Flugzeug mit zwei Musikern der Rockband blink-182 stürzte ab. Schlechte Nachricht, vier Tote. Gute Nachricht, diesmal überlebten die Rocker zur Abwechslung … obwohl einer von ihnen später Selbstmord
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