Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars
Ehefrau war Mrs. Brian Delahanty.
Darcy beugte sich nach vorn, bis sie mit der Nasenspitze das Glas berührte. Sie hielt den Atem an und legte beide Hände seitlich ans Gesicht, wie sie es als Mädchen in grasfleckigen Shorts und rutschenden weißen Socken getan hatte. Sie sah in den Spiegel, bis sie die Luft nicht länger anhalten konnte, und atmete schließlich prustend aus, so dass der Spiegel beschlug. Sie wischte ihn mit einem Handtuch ab und ging dann unten, um sich ihrem ersten Tag als Frau des Ungeheuers zu stellen.
Er hatte eine Nachricht für sie unter die Zuckerdose geklemmt.
Darce,
ich werde die Dokumente beseitigen, wie
Du’s verlangt hast. Ich liebe Dich, Schatz.
Bob
Um seinen Namen hatte er ein kleines Valentinsherz gemalt, was er seit Jahren nicht mehr getan hatte. Sie fühlte eine Woge der Liebe für ihn, sämig und süßlich wie der Duft verwelkender Blumen. Sie hätte am liebsten wie die Klageweiber des Alten Testaments laut geschrien, erstickte diesen Laut aber mit einer Serviette. Der Kühlschrank schaltete sich ein und begann sein herzloses Summen. Wasser tropfte in den Ausguss und zählte die Sekunden auf Geschirr platschend ab. Ihre Zunge füllte ihren Mund wie ein mit Essig getränkter Schwamm aus. Sie spürte, wie die Zeit -
alle Zeit, die ihr noch als seine Frau in diesem Haus bevorstand - sie wie eine Zwangsjacke umschloss. Oder wie ein Sarg. Dies war die Welt, an die sie als Kind geglaubt hatte. Sie war die ganze Zeit hier gewesen. Hatte auf sie gewartet.
Der Kühlschrank summte, das Wasser tropfte in den Ausguss, und die grausamen ersten Sekunden verstrichen. Dies war das Dunklere Leben, in dem jede Wahrheit rückwärts geschrieben wurde.
12
In den Jahren, in denen Donnie im Cavendish Hardware Team Baseball gespielt hatte, hatte ihr Mann auch die Little League trainiert (ebenfalls mit Vinnie Eschler, diesem Meister polnischer Witze und bärenhaft tollpatschiger Umarmungen), und Darcy wusste noch gut, was Bob zu den Jungen - von denen viele weinten - gesagt hatte, nachdem sie das Endspiel des Jahresturniers im Bezirk 19 verloren hatten. Das musste 1997 gewesen sein, wahrscheinlich nur einen Monat bevor er Stacey Moore ermordete und sie mit dem Kopf voraus in ihren eigenen Maiskasten stopfte. Seine Ansprache vor dieser Horde enttäuscht schniefender Jungen war kurz, klug und (das hatte sie damals gefunden und dachte es heute noch) unglaublich gütig gewesen.
Ich weiß, wie schlecht ihr euch fühlt, Jungs, aber trotzdem geht die Sonne morgen wieder auf. Und wenn sie es tut, dann werdet ihr euch wieder besser fühlen. Wenn sie übermorgen aufgeht, noch ein bisschen besser. Was heute passiert ist, war nur ein Teil eures Lebens, der jetzt vorbei ist. Ein Sieg wäre besser gewesen, aber so oder so ist es vorbei. Das Leben geht weiter.
Wie ihr eigenes nach dem verhängnisvollen Trip in die Garage, um Batterien zu holen. Als Bob nach ihrem ersten langen Tag zu Hause (sie konnte den Gedanken, selbst auszugehen, nicht ertragen, weil sie befürchtete, ihr Wissen müsse in Großbuchstaben auf ihrer Stirn zu lesen sein) aus dem Büro heimkam, sagte er: »Schatz, wegen letzter Nacht …«
»Letzte Nacht ist nichts passiert. Du bist vorzeitig zurückgekommen, das war alles.«
Er senkte auf seine jungenhafte Art den Kopf, und als er ihn langsam wieder hob, leuchtete auf seinem Gesicht ein breites dankbares Lächeln. »Also gut«, sagte er. »Fall abgeschlossen?«
»Zu den Akten gelegt.«
Er breitete die Arme aus. »Gib uns einen Kuss, Schatz.«
Das tat Darcy - und fragte sich dabei, ob er auch die Frauen geküsst hatte.
Gib dir richtig Mühe, lass deine flinke Zunge spielen, dann steche ich nicht zu, glaubte sie ihn sagen zu hören. Leg dein hochnäsiges kleines Herz rein.
Er legte ihr die Hände auf die Schultern und hielt sie auf Armeslänge von sich weg. »Weiter Freunde?«
»Weiter Freunde.«
»Bestimmt?«
» Ja. Ich habe nicht gekocht, will aber auch nicht ausgehen. Hast du nicht Lust, schnell deine Freizeitklamotten anzuziehen und uns eine Pizza zu holen?«
»Klar doch.«
»Und vergiss nicht, dein Prilosec zu nehmen.«
Er strahlte sie an. »Wird gemacht.«
Sie beobachtete, wie er die Treppe hinaufstürmte, und war kurz davor, ihm nachzurufen: Tu das nicht, Bobby, das belastet dein Herz.
Aber nein.
Nein.
Sollte er es doch belasten, so viel er wollte.
13
Die Sonne ging am nächsten Tag auf. Und am übernächsten. Eine Woche verstrich, dann zwei, dann ein Monat.
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