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Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars

Titel: Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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zu lieben, was aufs Gleiche herauskommt, wenn man noch keine 15 ist). Zu allem Übel musste er eine Lüge erzählen, und sie würde vielleicht erkennen, dass es eine Lüge war. Liebende Augen sind angeblich blind, aber das ist eine törichte Annahme. Manchmal sehen sie viel zu viel.
    Ich jätete im Garten (und zog mehr Erbsen heraus als Unkraut), dann setzte ich mich auf die Veranda, rauchte eine Pfeife und wartete darauf, dass er zurückkam. Was kurz vor Mondaufgang der Fall war. Sein Kopf war gesenkt, seine Schultern hingen herab, und er schlurfte mehr, als er ging. Es tat mir weh, ihn so zu sehen, aber ich war
trotzdem erleichtert. Hätte er sein Geheimnis - oder auch nur einen Teil davon - jemandem anvertraut, wäre er nicht so dahergeschlichen. Hätte er sich offenbart, wäre er vielleicht überhaupt nicht mehr zurückgekommen.
    »Du hast es so erzählt, wie wir es beschlossen haben?«, fragte ich ihn, als er sich setzte.
    »Wie du es beschlossen hast. Ja.«
    »Und sie hat versprochen, ihren Eltern nichts zu sagen?«
    »Ja.«
    »Aber wird sie’s tun?«
    Er seufzte. »Wahrscheinlich, ja. Sie liebt ihre Eltern, und die lieben sie. Sie werden etwas auf ihrem Gesicht sehen, schätze ich, und es aus ihr rauskriegen. Und selbst wenn sie’s nicht tun, wird sie’s vermutlich dem Sheriff erzählen. Das heißt, wenn er sich überhaupt die Mühe macht, mit den Cotteries zu reden.«
    »Lester wird dafür sorgen, dass er das tut. Er wird Sheriff Jones ankläffen, weil seine Bosse in Omaha ihn ankläffen. So geht’s rundum im Kreis weiter, und wo alles endet, weiß niemand.«
    »Wir hätten es nie tun sollen.« Er überlegte, dann wiederholte er den Satz, wobei er grimmig flüsterte.
    Ich sagte nichts. Eine Zeit lang schwieg auch er. Wir beobachteten, wie der Mond rot und schwanger aus dem Mais aufstieg.
    »Papa? Kann ich ein Glas Bier haben?«
    Ich sah ihn an - überrascht und doch nicht überrascht. Dann stand ich auf, ging hinein und schenkte uns beiden ein Glas Bier ein. Ich gab ihm eines davon und sagte dabei: »Morgen oder übermorgen gibt’s keins, merk dir das.«
    »Ist gut.« Er nippte, verzog das Gesicht und nahm dann einen kleinen Schluck. »Ich hab’s gehasst, Shan anzulügen, Papa. An der Sache ist alles schmutzig.«

    »Schmutz lässt sich abwaschen.«
    »Der nicht«, sagte er und nahm noch einen Schluck. Diesmal verzog er das Gesicht nicht mehr.
    Kurze Zeit später, nachdem der Mond silbern geworden war, ging ich ums Haus, um den Abort zu benutzen und darauf zu horchen, wie der Mais und die Nachtbrise einander die alten Geheimnisse der Erde erzählten. Als ich auf die Veranda zurückkam, war Henry verschwunden. Sein Bierglas stand halb leer auf dem Geländer an der Treppe. Dann hörte ich ihn im Stall sagen: »Braves Mädchen. Brav.«
    Ich ging hinüber, um nach ihm zu sehen. Er hatte die Arme um Elpis’ Hals geschlungen und streichelte sie. Ich glaubte zu sehen, dass er weinte. Ich beobachtete ihn eine Weile, sagte dann aber doch nichts. Ich ging ins Haus zurück, zog mich aus und legte mich in das Bett, in dem ich meiner Frau die Kehle durchgeschnitten hatte. Es dauerte lange, bis ich Schlaf fand. Und wenn Sie nicht den Grund verstehen, weshalb - alle Gründe, weshalb -, hat es keinen Zweck, dass Sie weiterlesen.
     
    Ich hatte allen unseren Kühen die Namen griechischer Nebengöttinnen gegeben, aber Elpis erwies sich als schlechte Wahl - beziehungsweise eine Ironie des Schicksals. Sollte Ihnen entfallen sein, wie das Böse auf unsere traurige alte Welt gekommen ist, will ich es Ihnen ins Gedächtnis zurückrufen: Alles Böse entwich, als Pandora ihrer Neugier nachgab und die ihr zur Aufbewahrung anvertraute Büchse öffnete. Als sie so weit zu sich kam, dass sie den Deckel wieder schloss, befand sich nur noch Elpis, die Göttin der Hoffnung, in der Büchse. Aber in jenem Sommer 1922 gab es für unsere Elpis keine Hoffnung mehr. Sie war alt und griesgrämig, sie gab nicht mehr viel Milch, und wir hatten es fast aufgegeben, dieses bisschen zu melken, denn sobald
man sich auf den Melkschemel setzte, trat sie nach einem. Wir hätten sie schon im Vorjahr verwerten sollen, aber ich scheute die Kosten, sie von Harlan Cotterie schlachten zu lassen, selbst war ich nämlich zu ungeschickt für diese Arbeit … eine Einschätzung, die Sie, lieber Leser, inzwischen vermutlich teilen.
    »Und sie wäre zäh«, hatte Arlette gesagt (die eine heimliche Zuneigung für Elpis empfunden hatte, vielleicht weil sie sie nie

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