Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars
Cowboysachen, wenn Sie damit Stiefel und alles meinen. Er besitzt auch keinen Trapperhut.«
»Auch diese Dinge könnte er gestohlen haben, nicht wahr?«
»Wenn Sie nicht mehr wissen, als Sie eben gesagt haben, sollten Sie lieber schweigen. Ich weiß, dass Sie mit Harlan befreundet sind …«
»Na, na, das hat nichts miteinander zu tun.«
Es hatte etwas miteinander zu tun, wie wir beide wussten, aber es gab keinen Grund, dieses Thema weiterzuverfolgen. Auch wenn meine 30 Hektar im Vergleich zu Harlan Cotteries 160 vielleicht unbedeutend waren, würde ich mich als Grundbesitzer und Steuerzahler nicht einschüchtern lassen. Das hatte ich sagen wollen, und Sheriff Jones hatte es sehr gut verstanden.
»Mein Sohn ist kein Räuber, und er bedroht keine Frauen. So was tut er nicht, und so ist er auch nicht erzogen worden.«
Zumindest bis vor kurzem nicht, flüsterte eine Stimme in meinem Kopf.
»Möglicherweise war’s auch nur ein Landstreicher, der schnell Kasse machen wollte«, sagte Jones. »Aber ich hatte das Gefühl, die Sache ansprechen zu müssen, also hab ich’s getan. Und wir wissen nicht, was die Leute sagen werden, nicht wahr? Gerüchte machen gern die Runde. Alle reden, nicht wahr? Reden ist wohlfeil. Was mich betrifft, ist der Fall erledigt - um Lyme Biska soll sich der Sheriff von Lyme County kümmern, das ist mein Motto -, aber Sie sollten wissen, dass die Polizei in Omaha das Heim, in dem Shannon Cotterie ist, im Auge behält. Das sage ich nur für den Fall, dass Ihr Sohn von sich hören lässt, nicht wahr?«
Er strich sich das Haar zurück und setzte seinen Hut dann zum letzten Mal gerade auf.
»Vielleicht kommt er von selbst zurück, ohne etwas angestellt zu haben, und wir können das Ganze abschreiben wie … ich weiß nicht recht … wie einen faulen Kredit.«
»Einverstanden. Aber Sie dürfen ihn nicht einen schlechten Sohn nennen, wenn Sie nicht bereit sind, Shannon Cotterie eine schlechte Tochter zu nennen.«
Die Art, wie seine Nasenlöcher sich weiteten, zeigte mir, dass ihm das nicht sehr gefiel, aber er äußerte sich nicht
dazu. Er sagte lediglich: »Wenn er zurückkommt und sagt, dass er seine Mutter gesehen hat, lassen Sie’s mich wissen, nicht wahr? Bei uns wird sie als vermisst geführt. Verrückt, ich weiß, aber Gesetz ist Gesetz.«
»Das tue ich natürlich.«
Er nickte und ging zu seinem Wagen zurück. Lars hatte sich hinters Lenkrad gesetzt. Jones scheuchte ihn auf den Beifahrersitz - der Sheriff gehörte zu den Männern, die immer selbst fuhren. Ich stand da und sah ihm nach, als er in Richtung Stadt davonbrauste. Ich musste an den jungen Mann denken, der den Laden überfallen hatte, und redete mir ein, dass mein Henry so etwas niemals täte, und selbst wenn er sich dazu gezwungen sähe, wäre er nicht raffiniert genug, Kleidung zu tragen, die er aus irgendjemands Scheune oder Schlafbaracke gestohlen hatte. Aber Henry war jetzt anders, und Mörder lernen , raffiniert zu sein, oder? Nur so können sie überleben. Ich dachte, vielleicht …
Aber nein. So will ich es nicht ausdrücken. Das wäre zu schwach. Dies ist mein Geständnis, mein letztes Wort zu allem, und welchen Zweck hätte es, wenn ich nicht die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit sagen würde? Welchen Zweck hätte da irgendetwas sonst?
Er war es gewesen. Henry war es gewesen. In Sheriff Jones’ Blick hatte ich gelesen, dass er den Raubüberfall am Stadtrand nur erwähnt hatte, weil ich nicht wie erwartet vor ihm gekrochen war, aber ich glaubte es dennoch. Weil ich mehr wusste als Sheriff Jones. Was bedeutete es, ein paar Klamotten zu stehlen und vor dem Gesicht einer alten Frau ein Brecheisen zu schwenken, nachdem man seinem Vater geholfen hatte, die eigene Mutter zu ermorden? Nicht sonderlich viel. Und da er es einmal ausprobiert hatte, würde er es noch einmal tun, sobald die 23 Dollar
verbraucht waren. Vermutlich in Omaha. Wo sie ihn fassen würden. Und dann konnte die ganze Sache auffliegen. Sie würde fast todsicher auffliegen.
Ich stieg zur Veranda hinauf, setzte mich und verbarg das Gesicht in den Händen.
Die Tage vergingen. Ich weiß nicht, wie viele, sondern nur, dass sie regnerisch waren. Hat der Herbstregen erst einmal eingesetzt, müssen die Arbeiten im Freien warten, und ich hatte nicht genug Vieh oder Nebengebäude, um mich mit sinnvollen Arbeiten unter Überdachung zu beschäftigen. Ich versuchte zu lesen, aber die Wörter schienen keine Sätze bilden zu wollen,
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