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Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars

Titel: Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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an der mit Brettern verschalten Eingangstür), das Pfandhaus in der Dodge Street (wo ich dem Beispiel meines Sohns folgend die Pistole kaufte, die jetzt in meiner Jackentasche steckt), die Filiale Omaha der First Agricultural Bank. Die hübsche junge Kassiererin arbeitete weiter dort, obwohl sie nicht mehr Penmark hieß.
    »Als ich ihm das Geld gegeben habe, hat er sich bedankt«, erzählte sie mir. »Er mag auf die schiefe Bahn geraten sein, aber irgendjemand hat ihn richtig erzogen. Haben Sie ihn gekannt?«
    »Nein«, sagte ich, »aber ich habe seine Familie gekannt.«
    Natürlich besuchte ich auch das Mädchenheim St. Eusebia, machte aber keinen Versuch, hineinzugehen und bei der Gouvernante oder Hausmutter oder wie ihr Titel sonst lauten mochte, nach Shannon Cotterie zu fragen. Das Heim war ein abstoßend kalter Klotz; die dicken Mauern und die Schießschartenfenster drückten exakt aus, was die papistische Hierarchie in ihrem Innersten von Frauen zu halten schien. Der Anblick der wenigen schwangeren Mädchen, die mit niedergeschlagenen Augen und hochgezogenen Schultern herausgeschlichen kamen, sagte mir alles, was ich darüber wissen musste, weshalb Shan diese Einrichtung so bereitwillig verlassen hatte.
    Seltsamerweise fühlte ich mich meinem Sohn in einer der Gassen am nächsten. Es war die neben dem Drug Store & Soda Fountain (Unsere Spezialität: Bonbons von Schrafft & beste Karamellen aus eigener Herstellung) in der Gallatin Street, zwei Straßen vom St. Eusebia entfernt. Dort stand eine Holzkiste, vermutlich zu neu, um die zu sein, auf der Henry gesessen und auf ein Mädchen gewartet hatte, das abenteuerlustig genug war, um für Zigaretten Informationen zu liefern, aber ich konnte so tun, als wäre sie es, und
das tat ich auch. Diese Vorstellung fiel mir leichter, wenn ich betrunken war, und wenn ich in der Gallatin Street aufkreuzte, war ich meistens sehr betrunken. Manchmal stellte ich mir vor, es wäre wieder 1922 und ich wartete hier auf Victoria Stevenson. Wenn sie kam, würde ich ihr eine ganze Stange Zigaretten dafür geben, dass sie einen Auftrag übernahm: Wenn hier ein junger Mann aufkreuzt, der sich Hank nennt und nach Shan Cotterie fragt, sagen Sie ihm, dass er verschwinden soll. Dass er den Blödsinn lassen soll. Sagen Sie ihm, dass sein Vater ihn zu Hause au f der Farm braucht, die sie in gemeinsamer Anstrengung vielleicht retten können.
    Aber dieses Mädchen war für mich unerreichbar. Die einzige Victoria, die ich kennenlernte, war die spätere Version, die mit drei hübschen Kindern und dem ehrbaren Namen Mrs. Hallett. Ich trank inzwischen nicht mehr, hatte einen Job in der Textilfabrik Bilt-Rite Clothing und war wieder mit dem Gebrauch von Rasierklingen und Rasierseife vertraut. Wegen dieser Fassade der Wohlanständigkeit empfing sie mich durchaus bereitwillig. Wer ich war, sagte ich ihr nur - will ich doch bis zuletzt ehrlich sein -, weil ich mit Lügen nicht durchgekommen wäre. Dass ihre Augen sich leicht weiteten, zeigte mir, dass sie die Ähnlichkeit bemerkt hatte.
    »Mensch, er war wirklich süß«, sagte sie. »Und so verrückt verliebt. Shan tut mir auch leid. Sie war ein wundervolles Mädchen. Das Ganze ist wie eine Tragödie von Shakespeare, nicht wahr?«
    Nur sagte sie Trad-ö-gie , und danach ging ich nicht wieder in die von der Gallatin Street abzweigende Gasse, weil der Mord an Arlette selbst das Bemühen um Freundlichkeit dieser unschuldigen jungen Mutter aus Omaha vergiftet hatte. Sie dachte, der Tod von Henry und Shannon sei wie eine Trad-ö-gie von Shakespeare. Sie hielt es für romantisch. Hätte sie das auch gedacht, frage ich mich, wenn sie gehört
hätte, wie meine Frau unter einem blutgetränkten Rupfensack ihren letzten Schrei tat? Oder wenn sie das starre lippenlose Gesicht meines Sohns gesehen hätte?
     
    In meinen Jahren in der auch als Stadt der Narren bekannten Gateway City hatte ich zwei Jobs. Natürlich hatte ich zwei Jobs, werden Sie sagen; sonst hätte ich auf der Straße gelebt. Aber ehrlichere Männer als ich haben weitergetrunken, obwohl sie damit aufhören wollten, und anständigere Männer als ich haben zuletzt in Hauseingängen geschlafen. Ich könnte vermutlich sagen, dass ich nach meinen verlorenen Jahren einen weiteren Versuch unternahm, ein reales Leben zu führen. Es gab Zeiten, in denen ich das tatsächlich glaubte, aber wenn ich nachts im Bett lag (und auf die in den Wänden umherflitzenden Ratten horchte, die meine ständigen Begleiter

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