Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars
Hypothek aufnehmen würde. Der Stuhl wäre fast umgefallen.
»Gutes neues Jahr, Mr. James«, sagte Stoppenhauser.
»Und Ihnen auch, Sie betrügerisches Arschloch«, antwortete ich. Sein schockierter Gesichtsausdruck könnte das letzte Gute gewesen sein, das mir in meinem Leben widerfahren ist. Ich sitze seit einigen Minuten hier, kaue auf meinem Füller herum und versuche, mich an etwas anderes zu erinnern - ein gutes Buch, eine gute Mahlzeit, einen angenehmen Nachmittag im Park -, aber mir fällt nichts ein.
Kevin Rohrbacher begleitete mich durch die Schalterhalle. Das dürfte der richtige Ausdruck sein; er schleppte mich nicht ganz mit sich. Der Fußboden war aus Marmor, auf dem unsere Schritte hallten. Die Wände waren mit dunkler Eiche getäfelt. An den hohen Kassenschaltern bedienten zwei Frauen die letzten Kunden des Jahres. Eine der Kassiererinnen war jung, die andere war alt, aber ihr Gesichtsausdruck mit weit aufgerissenen Augen war identisch. Trotzdem war es nicht ihre angstvolle, fast lüsterne Neugier, die meine Aufmerksamkeit fesselte, sondern etwas ganz anderes. Oberhalb der Kassenschalter verlief ein handbreiter genoppter Eichenbalken, über den geschäftig …
»Vorsicht, Ratte!«, rief ich und zeigte auf sie.
Die jüngere Kassiererin stieß einen kleinen Schrei aus, sah nach oben und wechselte dann einen Blick mit ihrer älteren Kollegin. Es gab keine Ratte, nur den flüchtigen Schatten eines Deckenventilators. Und jetzt sahen alle mich an.
»Gafft, so viel ihr wollt!«, forderte ich sie auf. »Nach Herzenslust! Starrt, bis euch die gottverdammten Augen rausfallen!«
Dann war ich auf der Straße und atmete stoßweise kalte Winterluft aus, die wie Zigarettenrauch aussah. »Kommen Sie nur in Geschäftsangelegenheiten wieder«, sagte Kevin. »Und nur, wenn Sie höflich bleiben.«
»Dein Vater war der gottverdammt größte Abschreiber, mit dem ich je in der Schule war«, erklärte ich ihm. Ich wollte, dass er mich schlug, aber er ging nur wieder hinein und ließ mich vor meinem klapprigen alten Lastwagen auf dem Gehsteig stehen. Und so verbrachte Wilfred Leland James seinen Stadtbesuch am letzten Tag des Jahres 1922.
Als ich heimkam, war Achelois nicht mehr im Haus. Sie war auf dem Hof, lag auf der Seite und stieß selbst weiße Dampfwolken aus. Ich konnte die Spuren im Schnee sehen, wo sie von der Veranda galoppiert war, und die größeren, wo sie unglücklich aufgekommen war und sich beide Vorderbeine gebrochen hatte. In meiner Nähe konnte anscheinend nicht einmal eine unschuldige Kuh überleben.
Ich ging in den Vorraum für Gummistiefel und Arbeitskleidung, um mein Gewehr zu holen, und dann ins Haus, weil ich sehen wollte - falls möglich -, was sie so erschreckt hatte, dass sie ihre neue Unterkunft in gestrecktem Galopp verlassen hatte. Es waren natürlich Ratten. Drei von ihnen saßen auf Arlettes kostbarer Anrichte und betrachteten mich mit ihren ernsten schwarzen Augen.
»Lauft zurück, und sagt ihr, dass sie mich in Ruhe lassen soll«, forderte ich sie auf. »Sagt ihr, dass sie genug angerichtet hat. Sagt ihr um Himmels willen, dass sie mich in Ruhe lassen.«
Sie saßen nur mit um ihre rundlichen grau-schwarzen Körper geringelten Schwänzen da und sahen mich an. Also hob ich mein Gewehr Kaliber.22 und knallte die mittlere ab. Die Kugel zerfetzte sie und klatschte ihre Überreste an die Tapete, die Arlette vor 9 oder 10 Jahren mit solcher Liebe
ausgesucht hatte. Als Henry noch klein gewesen und zwischen uns dreien alles in Ordnung gewesen war.
Die beiden anderen flüchteten. Bestimmt zu ihrem geheimen Durchschlupf in den Untergrund. Zurück zu ihrer verwesenden Königin. Was sie auf Arlettes Anrichte zurückließen, waren kleine Häufchen Rattenkot und drei oder vier Fetzen jenes Rupfensacks, den Henry an jenem Frühsommerabend des Jahres 1922 aus der Scheune geholt hatte. Die Ratten waren gekommen, um meine letzte Kuh in den Tod zu treiben und mir Fetzen von Arlettes Haarnetz zu bringen.
Ich ging hinaus und tätschelte Achelois am Kopf. Sie machte einen langen Hals und muhte klagend. Mach, dass es au fhört. Du bist mein Herr, du bist der Gott meiner Welt, also mach, dass es au fhört.
Das tat ich.
Gutes neues Jahr.
Das war das Ende des Jahres 1922, und dies ist das Ende meiner Geschichte; der gesamte Rest ist ein Nachspiel. Die in diesem Raum versammelten Abgesandten - wie der Direktor dieses schönen alten Hotels aufschreien würde, wenn er sie sähe! - werden
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