Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars
waren), wusste ich stets die Wahrheit: Ich versuchte noch immer zu siegen. Selbst nach Henrys und Shannons Tod, selbst nach dem Verlust der Farm versuchte ich, die Tote im Brunnen zu schlagen. Sie und ihre Lakaien .
John Hanrahan war der Lagerverwalter bei Bilt-Rite. Er wollte keinen Mann mit nur einer Hand einstellen, aber ich bat ihn, es mit mir zu versuchen, und als ich ihm bewies, dass ich eine mit Hemden oder Arbeitshosen beladene volle Palette so gut wie jeder Mann auf seiner Lohnliste ziehen konnte, stellte er mich ein. Ich zog diese Paletten 14 Monate lang und humpelte oft mit brennendem Rücken und Armstumpf in die Pension zurück, in der ich wohnte. Aber ich beklagte mich nie und fand sogar die Zeit, nähen zu lernen. Das tat ich in meiner Mittagsstunde (die in Wirklichkeit 15 Minuten dauerte) und in der Nachmittagspause. Während die anderen Männer draußen in der Ladebucht standen, rauchten und schmutzige Witze erzählten, brachte ich mir selbst bei, Säume zu nähen - erst an Rupfensäcken
für den Warenversand, dann an den Arbeitshosen, die das Hauptprodukt der Firma waren. Wie sich zeigte, hatte ich ein natürliches Talent dafür; ich konnte sogar Reißverschlüsse einnähen, was am Fließband einer Textilfabrik eine beachtliche Fertigkeit ist. Dabei hielt ich das Kleidungsstück mit meinem Armstumpf fest, während ich den Elektroantrieb mit dem Fuß steuerte.
Nähen brachte mehr als Lagerarbeit und war für meinen Rücken besser, aber der Nähsaal war düster und höhlenartig, und nach etwa 4 Monaten fing ich an, Ratten auf den Bergen frisch gefärbter Baumwollhosen und in den Schatten unter den Handwagen zu sehen, auf denen Zuschnitte gebracht und fertige Kleidungsstücke weggefahren wurden.
Bei verschiedenen Gelegenheiten machte ich meine Arbeitskollegen auf diese Schädlinge aufmerksam. Sie behaupteten, sie nicht zu sehen. Vielleicht sahen sie sie wirklich nicht. Aber viel eher befürchteten sie, der Nähsaal könnte vorübergehend geschlossen werden, damit Kammerjäger kommen und ihre Arbeit tun konnten. Die Näher und Näherinnen hätten drei Tageslöhne oder sogar einen Wochenlohn verlieren können. Für Männer und Frauen mit Familien wäre das eine Katastrophe gewesen. Für sie war es einfacher, Mr. Hanrahan zu erzählen, ich sähe Gespenster. Das verstand ich. Und als sie anfingen, mich Crazy Wilf zu nennen? Auch das verstand ich. Ich kündigte nicht deshalb.
Ich kündigte, weil die Ratten immer näher heranrückten.
Ich hatte etwas Geld zurückgelegt, von dem ich leben wollte, während ich anderswo Arbeit suchte, aber das war nicht nötig. Nur drei Tage nach meinem Ausscheiden bei Bilt-Rite sah ich in der Zeitung eine Stellenanzeige, mit der die öffentliche Stadtbücherei von Omaha einen Bibliothekar
suchte - mit Hochschulabschluss oder entsprechenden Referenzen. Studiert hatte ich nicht, aber ich hatte mein Leben lang gelesen, und wenn die Ereignisse des Jahres 1922 mich eines gelehrt hatten, war es die Kunst der Täuschung. Ich fälschte Empfehlungsschreiben von Stadtbüchereien in Kansas City und Springfield, Missouri, und bekam den Job. Weil ich erwartete, dass Mr. Quarles diese Referenzen überprüfen und entdecken würde, dass sie gefälscht waren, bemühte ich mich, der beste Bibliothekar Amerikas zu werden - und das im Eiltempo. Sollte mein neuer Boss mich mit meinem Betrug konfrontieren, würde ich einfach um Gnade flehen und das Beste hoffen. Aber es gab keine Konfrontation. Meinen Posten in der Stadtbücherei von Omaha bekleidete ich vier Jahre lang. Theoretisch bin ich weiter dort angestellt, obwohl ich seit einer Woche nicht mehr dort war und mich auch nicht telephonisch krankgemeldet habe.
Wegen der Ratten, wissen Sie. Sie haben mich auch dort aufgespürt. Ich begann, sie im Binderaum auf Stapeln alter Bücher hocken oder über die höchsten Fächer der Wandregale flitzen zu sehen. Als ich letzte Woche im Leseraum für eine ältliche Benutzerin einen Band der Encyclopædia Britannica herauszog (den Band Ra-St , der zweifellos einen Eintrag zu Rattus norvegicus enthält, von Schlachtho f ganz zu schweigen), starrte mich aus der Lücke ein hungriges grau-schwarzes Gesicht an. Das war die Ratte, die Achelois eine Zitze abgebissen hatte. Ich weiß nicht, wie das sein konnte - ich war mir sicher, sie zerstampft zu haben -, aber an ihrer Identität bestand kein Zweifel. Ich erkannte sie wieder. Wie denn auch nicht? An ihren Schnurrbarthaaren hing ein Fetzen Rupfen, ein
Weitere Kostenlose Bücher