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Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars

Titel: Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Freitagabend, sind Sie dumm auf die Welt gekommen, Lady, oder erst später so geworden? Aber nach dem zweiten Klingeln meldete sich eine geschäftsmäßige Frau, die sich als Andrea vorstellte. Sie hörte Tess zu, dann sagte sie, sie würden sofort einen Wagen hinausschicken, ihr Fahrer würde Manuel sein. Ja, sie wisse genau, von wo aus Tess anrufe, weil sie dauernd Wagen zum Stagger Inn hinausschickten.
    »Okay, aber ich bin nicht dort«, sagte Tess. »Ich bin an der Kreuzung ungefähr eine halbe Meile vom…«
    »Ja, Ma’am, das habe ich«, sagte Andrea. »Das Gas & Dash. Dort fahren wir manchmal auch hin. Die Leute gehen oft zu Fuß hin und rufen an, wenn sie ein bisschen zu viel getrunken haben. Es wird ungefähr fünfundvierzig Minuten dauern, vielleicht sogar eine Stunde.«
    »Das ist in Ordnung«, sagte Tess. Wieder flossen ihr die Tränen. Diesmal Tränen der Dankbarkeit, obwohl sie sich ermahnte, wachsam zu bleiben, weil die Hoffnungen der Heldin sich in solchen Storys allzu oft als trügerisch erwiesen. »Das ist völlig in Ordnung. Ich bin um die Ecke bei den Telefonen. Und ich halte die Augen offen.«
    Jetzt wird sie mich fragen, ob ich etwas zu viel getrunken habe. Weil ich wahrscheinlich so klinge.
    Aber Andrea wollte nur wissen, ob sie bar oder mit Karte zahlen würde.
    »American Express. Ich müsste in Ihrem Computer sein.«
    »Ja, Ma’am, das sind Sie. Danke, dass Sie Royal Limousine angerufen haben, wo jeder Kunde königlich behandelt
wird.« Andrea legte auf, bevor Tess »oh, bitte sehr« sagen konnte.
    Als sie den Hörer einhängen wollte, kam ein Mann - er, das ist er - um die Ladenecke genau auf sie zugerannt. Diesmal hatte sie keine Chance aufzuschreien; sie war vor Entsetzen gelähmt.
    Es war einer der beiden Teenager. Er lief an ihr vorbei, ohne sie anzusehen, schlug einen Haken nach links und verschwand in Herren. Die Tür fiel krachend ins Schloss. Wenige Augenblicke später hörte sie den pferdeartig starken Strahl, mit dem ein junger Mann seine schrecklich gesunde Blase entleerte.
    Tess ging an der Seite des Gebäudes entlang nach hinten. Dort stand sie neben einem übelriechenden Müllbehälter (nein, dachte sie, ich stehe nicht, ich lauere) und wartete darauf, dass der junge Mann fertig war und verschwand. Dann ging sie zu den Telefonen zurück, um die Straße zu beobachten. Obwohl sie an vielen Stellen Schmerzen hatte, spürte sie, wie ihr Magen vor Hunger knurrte. Sie hatte das Abendessen versäumt, war einfach zu sehr damit beschäftigt gewesen, vergewaltigt und beinahe umgebracht zu werden, um etwas zu essen. Sie hätte gern irgendeinen der Snacks gehabt, die in solchen Läden verkauft wurden - sogar ein paar dieser scheußlichen kleinen, widerlich gelben Erdnussbuttercracker wären köstlich gewesen -, aber sie hatte kein Geld. Auch wenn sie welches gehabt hätte, wäre sie nicht hineingegangen. Sie kannte die Beleuchtung in Tankstellenshops wie dem Gas & Dash: unbarmherzig grelle Leuchtstoffröhren, in deren Licht selbst Gesunde aussahen, als litten sie an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Der oder die Angestellte hinter der Theke würde ihr entstelltes Gesicht, die gebrochene Nase und die geschwollenen Lippen anstarren, und auch wenn er oder sie nichts sagte, würde Tess leicht geweitete Augen sehen. Und vielleicht ein
rasch unterdrücktes Zucken der Lippen. Weil, machen wir uns nichts vor, manche Leute über eine misshandelte Frau lachen konnten. Vor allem an einem Freitagabend. Wer hat Sie so rangenommen, Lady, und womit haben Sie sich’s verdient? Sind wohl nicht rübergekommen, nachdem irgendein Kerl seinen Überstundenlohn für Sie ausgegeben hat, was?
    Das erinnerte sie an eine alte Scherzfrage, die sie irgendwo gehört hatte: Wieso gibt es jährlich dreihunderttausend misshandelte Frauen in Amerika? Weil sie … verdammt noch mal … ein fach nicht gehorchen .
    »Macht nichts«, flüsterte sie. »Ich esse etwas, wenn ich zu Hause bin. Vielleicht Thunfischsalat.«
    Das klang gut, aber irgendwie war sie davon überzeugt, dass sie wohl nie wieder Thunfischsalat - oder übrigens auch widerlich gelbe Erdnussbuttercracker aus Tankstellenshops - essen können würde. Die Vorstellung, dass eine Limousine vorfahren und sie aus diesem Albtraum holen würde, war zu gut, um wahr zu sein.
    Irgendwo zu ihrer Linken konnte Tess das Rauschen des Verkehrs auf der I-84 hören - auf der Interstate, die sie genommen hätte, wenn sie nicht so erfreut gewesen wäre, die Heimfahrt abkürzen zu

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