Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars
aber auf dem Parkplatz standen so viele Fahrzeuge. Selbst wenn sie die Reihen einzeln absuchte, konnte sie ihn übersehen.
Die Band legte mit einem fast original klingenden alten Song der Cramps los: »Can Your Pussy Do the Dog?«. Nein, dachte Tess, aber heute hat es ein Hund meiner Pussy besorgt. Die Alte Tess hätte einen Scherz dieser Art nicht gebilligt, aber die Neue Tess hielt ihn für ziemlich gut. Sie bellte ein heiseres Lachen, setzte sich wieder in Bewegung und ging auf die andere Straßenseite hinüber, wo die Parkplatzbeleuchtung nicht mehr ganz hinreichte.
Als sie an der Rückseite des Gebäudes vorbeikam, sah sie einen alten weißen Kastenwagen, der rückwärts an die Ladebucht herangestoßen war. Auf dieser Seite des Stagger Inn gab es keine Bogenlampen, aber der Mondschein reichte aus, um ihr das Skelett mit seinem Schlagzeug aus
Törtchen zu zeigen. Kein Wunder, dass der Fahrer nicht angehalten hatte, um die Nagelbretter von der Fahrbahn zu räumen. Die Zombie Bakers hatten sich zum Aufbauen verspätet, und das war nicht gut, denn an Freitagabenden steppte der Bär im Stagger Inn.
»Can your pussy do the dog?«, fragte Tess und zog den schmuddeligen Teppichrest etwas enger um den Hals. Er war keine Nerzstola, aber in dieser kühlen Oktobernacht besser als nichts.
14
Wenn Sie die 47 erreichen, hatte Ramona Norville gesagt, sehen Sie einen Wegweiser zur I-84. Tess sah etwas noch Besseres: ein Gas & Dash mit zwei Kartentelefonen an der Hohlblocksteinwand zwischen den Toiletten.
Sie ging zuerst auf Damen und musste mit einer Hand vor dem Mund einen Schrei unterdrücken, als ihr Urin zu fließen begann; es brannte, als hätte jemand in ihr ein Streichholzbriefchen angezündet. Als sie vom WC aufstand, kullerten wieder Tränen über ihre Wangen. Das Wasser in der Schüssel war pastellrosa. Sie tupfte sich mit zusammengelegtem Klopapier ab - sehr sanft - und betätigte dann die Spülung. Sie hätte ein weiteres Papierpolster in den Schritt ihrer Unterhose gelegt, aber das konnte sie natürlich nicht. Der Riese hatte ihren Slip als Souvenir mitgenommen.
»Du Scheißkerl«, sagte sie mit ihrer neuen, rauen Bonnie-Tyler-Stimme.
Sie blieb mit einer Hand auf dem Türknopf stehen und betrachtete in dem wasserfleckigen Metallspiegel über dem Waschbecken die misshandelte Frau mit den weit aufgerissenen Augen. Dann ging sie hinaus.
15
Sie entdeckte, dass es in diesen modernen Zeiten eigenartig schwierig geworden war, ein Kartentelefon zu benutzen, auch wenn man die Nummer seiner Telefonkarte auswendig wusste. Das erste Telefon, das sie ausprobierte, funktionierte nur in einer Richtung: Sie konnte die Auskunft hören, aber die Telefonistin konnte nicht sie hören und trennte deshalb die ohnehin unzulängliche Verbindung. Das andere Telefon hing schief an der Hohlblocksteinwand - wenig ermutigend -, aber es funktionierte. Aus dem Hörer kam ein stetiges ärgerliches Summen, aber wenigstens konnten die Telefonistin und sie miteinander reden. Nur hatte Tess weder Bleistift noch Kugelschreiber. In ihrer Handtasche hatte sie mehrere Schreibgeräte, aber die war weg.
»Können Sie mich nicht einfach verbinden?«, fragte sie die Telefonistin.
»Nein, Ma’am, Sie müssen die Nummer selbst wählen, um Ihre Kreditkarte zu benutzen.« Die Telefonistin sprach, als müsste sie einem dummen Kind etwas allgemein Bekanntes erklären. Das brachte Tess aber nicht auf; sie fühlte sich wie ein dummes Kind. Dann sah sie, wie staubig die Wand war. Sie forderte die Telefonistin auf, ihr die Nummer zu geben, und als sie kam, schrieb Tess sie mit dem Zeigefinger in den Staub.
Bevor sie wählen konnte, fuhr ein Pick-up auf den Parkplatz. Ihr Herz flog mit schwindelerregender akrobatischer Leichtigkeit in ihre Kehle hinauf, und als zwei lachende Jungs in Highschool-Jacken ausstiegen und in dem Laden verschwanden, war sie froh, dass es dort oben war. Es blockierte den Schrei, den sie sonst bestimmt nicht hätte unterdrücken können.
Sie spürte, dass die Welt wegzutreten versuchte, lehnte den Kopf sekundenlang an die Wand und rang nach Atem.
Sie schloss die Augen. Sie sah den Riesen mit beiden Händen in den Taschen seiner Latzhose über sich aufragen und öffnete die Augen wieder. Sie wählte die Nummer, die sie in den Staub an der Wand geschrieben hatte.
Sie machte sich auf einen Anrufbeantworter oder einen gelangweilten Kundenbetreuer gefasst, der ihr erklärte, sie hätten keine Wagen, natürlich nicht, heute sei
Weitere Kostenlose Bücher