Zwischen Olivenhainen (German Edition)
wurden die unmöglichsten Gerüchte verbreitet, die jeder auf der Welt lesen und glauben konnte. Oder eben nicht. Das Internet war einfach unmöglich. Genau wie die Fernsehsender und Zeitungen. Leslie entschloss sich dazu, nichts von dem, was sie gelesen hatte, auch nur im Entferntesten zu glauben. Und sie würde Raffaello auch nicht danach fragen. Das waren seine Angelegenheiten und sie fand es taktlos, ihn nach seinem toten Vater zu fragen. Obwohl sie sich plötzlich für dessen Tod interessierte. Schließlich wurde nicht alle Tage jemand auf der Straße erschossen. Aber wer sagte denn, dass es auf der Straße passiert war? Es hätte genauso gut in einem Kongresscenter oder sonstwo geschehen können. Schluss jetzt.
Leslie dröhnte der Kopf vor falschen, unglaubwürdigen, beleidigenden und doch irgendwie beängstigenden Artikeln. Sie schloss alle Seiten, die Anne aufgerufen hatte. Eine nach der anderen. Das war’s. Was hängte sich Anne auch in ihre Angelegenheiten rein? Wahrscheinlich würde sie ihr später an den Kopf werfen, sie habe es bloß gut gemeint, und nein, sie glaube nichts von all dem, was sie gelesen hatte, denn normalerweise war sie nicht leichtgläubig. Sie hinterfragte sofort alles, das ihr irgendwie widersprüchlich vorkam, und durchforstete ihr geliebtes Internet, bis sie sich dazu entschloss, irgendetwas von all dem zu glauben. Das war eben Anne.
Es war halb elf, als Antonio sich verabschiedete und Anne zu Leslie unter die Decke gekrochen kam. Leslie tat, als schliefe sie tief und fest – vorsichtshalber. Aber Anne knipste nur das Licht aus und dann sagte sie nach einer Weile:
„Ich weiß, dass du die Artikel gesehen hast. Und ich weiß, dass du nichts davon glauben willst.“ Doch Leslie antwortete nicht. Obwohl sie hellwach da lag und ihr Herzschlag raste.
23
„Ich habe mit Antonio darüber gesprochen“, sagte Anne am Donnerstagmorgen. Leslie blickte von ihrem Toast auf.
„Über was?“, fragte sie, doch sie ahnte es bereits.
„Darüber, was er über deinen Romeo denkt. Und über das, was ihm passiert ist, bevor er gefeuert wurde. Und über die Zeitungsartikel. Glaubst du, ich wüsste nicht längst, dass dieser S. M. Ruggiero Raffaellos Vater ist? Und dieser ‚Freund‘, von dem du gesprochen hast, dieser Mario Andolini, auch mit all dem zu tun hat?“
Mit all dem! Herrgott, Anne musste mit Antonio gestern Abend wirklich viele Hirngespinste erfunden haben. Ohne eine Antwort von sich zu geben, biss Leslie ein Stück von ihrem Toast ab. Anne hatte ihn anbrennen lassen. Sie schluckte ihn angeekelt hinunter und schob dann den Teller von sich. Da klatschte Anne ihr einen Haufen Papier auf den Tisch.
„Hier“, sagte sie, „interessant! Lies mal!“
„Woher hast du das?“
„Von Antonio, mehr musst du nicht wissen. Und lenk‘ nicht vom Thema ab.“
Widerwillig zog Leslie den ersten Ausdruck zu sich und überflog das Geschriebene.
„Dein Romeo war mal in eine Schießerei verwickelt“, sagte Anne. ‚Ja und?‘ wollte Leslie fragen, da war er sechzehn. Wenn es überhaupt stimmte. Und das tat es ganz sicher nicht.
„Und jemand ist dabei verletzt worden. Der Typ war fast tot“, bemerkte Anne. „Dein Romeo hätte eine Strafe bekommen, aber das Verfahren wurde eingestellt. Aus ‚Mangel an Beweisen.‘ Na, nach was klingt das?“ Ganz langsam versuchte Leslie, ihre Wut runterzuschlucken. Sie saß ihr im Magen und hämmerte wie wild gegen ihre Innereien, um freigelassen zu werden. Anne schob ihr den nächsten Artikel zu.
„Signor Romeo hat das Unternehmen seines verstorbenen Vaters übernommen. Der Herr wurde gar nicht mal so alt. Und gleich darauf kauft sich dein Lover eine neue Jacht und ein eigenes Haus. Findest du das nicht merkwürdig?“, fragte Anne.
Nein, dachte Leslie störrisch, nein, finde ich nicht. Er ist stinkreich, erwachsen und wollte letztes Jahr schon von zu Hause ausziehen und war anscheinend nicht der Meinung seines Vaters, was die Geschäfte angingen. Was sollte daran schlimm sein, sich Träume zu erfüllen?
„Außerdem“, sagte Anne und klatschte ihr den dritten Artikel vor die Nase, „außerdem hat man –“.
„Jetzt halt verflucht nochmal die Klappe!“, rief Leslie verärgert. Sie sprang auf, sodass ihr Stuhl nach hinten überkippte und krachend auf den Fliesen landete. Die Wut ließ sich nun nicht mehr länger runterschlucken.
„Lass mich doch einfach machen, was ich will!“, rief sie. „ Dich braucht es ja nicht zu interessieren, ob
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