Zwischen Olivenhainen (German Edition)
Schrecklich still, bis auf das dumpfe Glucksen der Wellen, die gegen das Heck der Jacht schlugen. Das Warten schien sich endlos hinzuziehen. Ihr Herz schlug so schnell, dass sie dachte, gleich ohnmächtig ertrinken zu müssen. Wo zur Hölle steckte er? Großer Gott, beobachtete er sie etwa von irgendwo unter Wasser? Bei diesem Gedanken fühlte sie sich plötzlich verdammt unwohl. Sie spielte mit dem Gedanken, die kleine Leiter einfach wieder hinaufzuklettern, auf die Badeplattform, und gerade, als sie die verfluchte Spannung nicht mehr aushielt und sich allmählich vorkam, wie im ‚Weißen Hai‘, legten sich zwei Hände auf ihre Taille, sie schrie erschrocken auf, und Raffaello tauchte vor ihr auf, triefnass und nach Luft schnappend. Gierig sog er die frische Luft ein. Erleichtert atmete Leslie auf und versuchte dann, seine Hände abzuschütteln, und nach einem verwirrenden, tiefen Blick in ihre Augen nahm er sie weg. Dann lächelte er und holte etwas aus seiner Hosentasche. Er legte es ihr in die Hand. Es war eine Muschel. Eine kleine, fast schon winzige Schnecke, aber sie war die Schönste, die Leslie je gesehen hatte. Jedenfalls kam es ihr in diesem Moment so vor. Ein seltsam geflecktes Muster zierte ihre Oberfläche, Brauntöne, die ineinander überliefen, mit winzigen, hellblauen Punkten.
„Ich dachte mir, du könntest sie an deine Halskette hängen“, sagte Raffaello und deutete auf den Olivenzweiganhänger, den sie noch immer um den Hals trug. Vorsichtig nahm Leslie die kleine Schnecke mit zwei Fingern. Sie lächelte.
„Danke“, sagte sie und plötzlich wusste sie nicht, wo sie hinschauen sollte. In seine Augen ganz sicher nicht, die pausenlos auf ihr ruhten. „Ich … werde sie mal in mein Portemonnaie legen“, murmelte sie dann und erreichte mit zwei Schwimmzügen die Leiter. Raffaello kam ihr nach. Scheinbar war der Badespaß beendet. Und irgendwie war Leslie froh darüber.
Wenig später lehnte sie neben Raffaello ganz vorne am Bug und schaute hinaus auf die gleißenden Wellen. Die Mittagssonne stand hoch und brannte unerträglich heiß auf sie hinab. Leslie befürchtete, dass ihre Sonnencreme längst wirkungslos geworden war. Wahrscheinlich würde sie wieder einen Sonnenbrand bekommen. Raffaello schien das nicht zu stören. Aber er war mit seiner olivbraunen Haut ja auch besser geschützt.
„Du hast mich vorhin ziemlich erschreckt“, gestand Leslie nach einer Weile, als sie das Schweigen nicht mehr länger ertrug.
Er lachte. „Dachtest du, ich ertrinke einfach so?“
„Weiß nicht“, murmelte Leslie. „Vielleicht …“
„Es geht sieben Meter da runter“, sagte er. „Da musste ich ganz langsam schwimmen, wegen des Drucks, verstehst du?“
„Sieben Meter?! Und die bist du getaucht, nur um eine winzige, bedeutungslose Muschel zu suchen?!“ Er nickte stolz. Angeber.
„Gefällt sie dir nicht?“, fragte er dann.
„Doch.“
„Dann ist’s gut“, sagte er zufrieden und fuhr sich mit der Hand durch das längst trockene, nun noch widerspenstigere Haar. Es glänzte schwarz in der Sonne und Leslie ertappte sich dabei, wie sie es anfassen wollte, einfach, um zu sehen, ob es wirklich so weich war, wie es aussah. Aber das tat sie nicht. Natürlich nicht. Das wäre ja noch schöner. Sie schwiegen eine ganze Weile lang, blickten nur hinaus auf das türkise Wasser, auf dem ab und zu einige Motorboote herumsausten, die längst nicht so riesig waren, wie die ‚Leslie‘ .
„Warum hast du das Schiff eigentlich ‚Leslie‘ genannt?“, fragte sie dann. Er sah sie nicht an.
„Ich habe dich vermisst“, sagte er. „Und als mein Vater starb, habe ich alles geerbt. Er war immer der Meinung, wir sollten unseren … Reichtum nicht so zur Schau stellen – er fand 30 Meter schon zu groß – aber ich war nie seiner Meinung, wie du vielleicht schon festgestellt hast.“ Er grinste zu ihr herüber.
„Naja, jedenfalls habe ich mir eine größere Jacht gekauft und – ich weiß auch nicht. Der Name hat so gut gepasst. Außerdem habe ich dich immer vor mir gesehen, wenn ich das Schiff angesehen habe.“ Leslie senkte den Blick. Ein bisschen geschmeichelt fühlte sie sich ja schon, aber was sie am meisten verunsicherte, war das seltsame Kribbeln in ihrem Magen, das sie schon heute Morgen verspürt hatte.
„Aber jetzt bin ich ja da“, sagte sie. Raffaello drehte sich um und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Reling. Er musterte sie lange und beunruhigend ernst.
„Ja, jetzt bist du
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