Zwischen Olivenhainen (German Edition)
helfen. Leslies Stimmung sank auf den Tiefpunkt. Angestellte. Matrosen. Und mit Sicherheit auch ein Steuermann. Na toll, dann war sie also nicht mit Raffaello alleine auf dem Protzteil. Doch andererseits beruhigte sie diese Tatsache ungemein. Raffaello kletterte zuerst eine schmale Leiter hinauf aufs Deck, dann reichte er ihr beide Hände, um ihr zu helfen. Ungeschickt kraxelte sie die Leiter hinauf und stand dann staunend vor Raffaello auf dem 49,98 Meter langen Deck der ‚Leslie‘ .
„Cool“, flüsterte sie noch einmal – und dieses Mal hörte er es.
„Ich weiß“, sagte er und grinste selbstgefällig. „Ich könnte dir erst mal alles zeigen – oder wir gehen gleich schwimmen. Wie du willst.“
Eine halbe Ewigkeit lang brachte sie kein Wort über die Lippen. Sie schaute sich nur um. Der Matrose war schon wieder verschwunden, auf Raffaellos Befehl hin. Und dann sickerte sein Vorschlag langsam zu ihr durch – und sie beschloss, dass sie den Rest der Jacht gar nicht erst sehen wollte. Groß. Protzig. Blank poliert und unverschämt. So würde alles andere auch aussehen.
„Schwimmen“, krächzte sie und Raffaello grinste vergnügt.
„Hab’ ich mir gedacht“, sagte er fast ein bisschen mitleidig, dann ergriff er einfach so Leslies Hand und zog sie mit sich in Richtung Heck. Seine Hand war warm, sein Griff kräftig – und Leslie jagte ein kleiner Schauer über den Rücken. Aber sie machte sich nicht von ihm los, bis sie die Badeplattform erreicht hatten. Hier stellte sie ihre Tasche ab – und stand nun ein wenig unschlüssig da und konnte sich nicht entscheiden, ob sie ihr Kleid jetzt einfach so ausziehen sollte oder nicht. Und Raffaello trug ja auch bloß eine schwarze Badehose im Surferstyle, die locker auf seinen Hüften saß. Gerade so locker, dass sie nicht herunterrutschte. Fand er das cool? Sie wollte sich nicht eingestehen, dass ihm das verdammt gut stand.
„Oh, wenn du willst, zeige ich dir die Umkleiden“, sagte er ein wenig erschrocken, aber Leslie schüttelte den Kopf.
„Nicht nötig“, murmelte sie, dann stieg sie zögernd aus ihrem Kleid und verstaute es in ihrer Tasche. Sie fühlte sich unendlich elend, als sie merkte, wie sein Blick an ihrem dünnen Körper auf und ab schweifte. Was um Himmels Willen musste er jetzt denken? Nichts als die Wahrheit, dachte sie trübsinnig. Wenigstens war es nicht mehr ganz so schlimm, wie vor einem Jahr, aber ihre Rippen konnte man noch sehen, ihre Beine sahen noch immer aus wie Streichhölzer und auch das Bikinioberteil war ihr etwas zu groß. Und plötzlich verfluchte sie sich dafür, dass sie vor zwei Jahren magersüchtig geworden war. Raffaello war bestimmt nicht begeistert. Wahrscheinlich stand er auf kurvige Mädchen, die etwas auf den Rippen hatten und –
„Hübscher Bikini“, sagte er da und Leslie traute sich nicht, ihm in die Augen zu blicken. „Echt, steht dir gut“, beharrte er, als er ihren verzweifelten Blick bemerkte. Er lächelte und hielt ihr seine Hand hin.
„Auf drei?“, fragte er und sie trat zögernd neben ihn an den Rand der Plattform und ergriff seine Hand.
„Na gut …“ Ihre Knie wurden weich. An wem oder was das lag, konnte sie nicht ganz feststellen. An Raffaello oder dem Sprung, der ihr bevorstand, aber sie wollte nicht als Feigling vor ihm da stehen.
„ Uno “, zählte Raffaello, „ due “ – und dann sprang er – bevor er „ tre “ gesagt hatte – und riss die erschrockene Leslie mit sich in die unendliche Tiefe. Jedenfalls kam ihr der Fall endlos vor. Als sie sich schließlich prustend an die Wasseroberfläche kämpfte und nach Luft schnappte, musste sie doch lachen. Vor Erleichterung oder Freude. Irgendwie hatte sich der Sprung gut angefühlt. Das Wasser war brühwarm.
„Überlebt?“, fragte Raffaello, der neben ihr aus den dunklen Wellen aufgetaucht war. Das sonst so wirre Haar klebte ihm nun triefnass und tiefschwarz am Kopf, bevor er es ausschüttelte und auf sie zu geschwommen kam. Doch bevor er ihr zu nahe kommen konnte, schleuderte Leslie ihm einen Schwall Wasser ins Gesicht. Er wirkte fast ein wenig überrascht, dann schlug er prustend und lachend zurück – und bald war eine wilde Wasserschlacht im Gange – bis er untertauchte. Und eine ganze Weile nicht mehr auftauchte. Leslie blickte sich hektisch nach ihm um, aber sie konnte nur das blaue Wasser sehen, dessen Oberfläche von niedrigen Wellen gekräuselt wurde. Raffaello war nirgends zu entdecken. Es war still.
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