Zwischen Olivenhainen (German Edition)
hielten neugierige Passanten zurück, die sich um den Schauplatz versammelt hatten. Es war eine Szene wie im Film. Nur war es keiner. Keine berühmten Schauspieler, kein Regisseur, keine Tontechniker – nur die Realität. Sogar die Presse schien schon vor Ort zu sein. Hier und da blitzten Fotoapparate auf. Grelles, blendendes Licht.
Leslie kniff die Augen zusammen, als sie direkt in einen der hellen Blitze vor ihr blickte. Sie sah alles in Zeitlupe. Menschen verschwammen vor ihren Augen, bis sie merkte, dass es tatsächlich Tränen waren, die ihr die Wangen hinabliefen, sich an ihrem Kinn sammelten. Sie konnte sie nicht wegwischen, ihre Hände lagen in Handschellen auf ihrem Rücken und sie verstand nicht, wieso. Sie wollte den Polizisten anschreien, der sie auf einen der Wagen zuführte, wollte ihn fragen, was sie denn getan hatte, dass sie behandelt wurde, wie eine Verbrecherin, aber sie hielt den Mund, schaute sich noch einmal kurz um, den Blick suchend durch die Menge streifend. Vor einem der Polizeiwagen herrschte so helles Blitzlichtgewitter, dass sie sich anstrengen musste, um etwas erkennen zu können.
Da war Raffaello. Sie fotografierten ihn alle, schrien durcheinander und er starrte grimmig in das helle Licht, wehrte sich nicht, als ihn drei Polizisten ins Innere des Wagens schoben. Die Tür wurde geschlossen und sie konnte ihn nicht mehr sehen. Aber sie wehrte sich gegen die Beamten, die sie ins Auto drängen wollten, blickte mit weit aufgerissenen Augen dem Wagen nach, der jetzt losfuhr. Ohne Blaulicht. Mit Raffaello.
Dann ließ sie sich ins Auto fallen, stieß sich nicht den Kopf, das war das Einzige, das es im Film auch gab. Die Tür wurde zugeworfen. Sie war alleine, für kurze Zeit, bis der Fahrer und sein Kollege einstiegen und Gas gaben. Sie fragte sich, ob Anne sich Sorgen machen würde. Mehr dachte sie nicht mehr, sie schloss die Augen und lehnte den Kopf zurück.
Der Raum, in den man sie schloss, sah genauso aus, wie sie es aus Filmen kannte. Eine lange Gitterwand hinderte sie daran auszubrechen. Allein bei dem Gedanken auszubrechen, fröstelte sie. Als ob sie das könnte. Die Gitter trennten diesen Teil der Zelle vom anderen ab, der Raum war in zwei Hälften geteilt. Die andere Zelle war leer – bis auf einen Menschen, der mit grimmigem Gesicht auf den Boden starrte. Sein dunkelrotes Hemd war an der Brust weit aufgerissen, wahrscheinlich, als er sich gewehrt hatte. Er atmete schwer, Leslie konnte seine hilflose Wut praktisch spüren. Aber sie blieb stehen, wo sie war, als Raffaello den Blick hob und sie direkt ansah. Irgendetwas hinderte sie daran, zu den Gitterstäben zu gehen, um näher bei ihm zu sein. Er lächelte nicht, als er sie sah, schloss nur für Sekunden die Augen und lehnte sich dann mit dem Rücken gegen die kalte Betonwand. Er sah erschöpft aus. Und anders. So furchtbar anders. Da war etwas in seinen Augen, das sie nicht zuordnen konnte. Sie schauderte.
„Leslie!“ Sie drehte sich um und sah Mario in ihrer Zelle sitzen. Inmitten zehn anderer Männer. In schwarzen Anzügen, die Blicke in alle Richtungen gerichtet. Einige sahen müde zu ihr herüber. Mario versuchte, sich ein Lächeln abzuringen. Er stand an die Wand gelehnt da, wirkte ernst und aufmerksam und seltsam ruhig, dafür, dass er sich auf einem Polizeirevier befand und ihm der Geburtstag verdorben worden war. Aber Leslie ging nicht zu ihm. Sie erwiderte seinen Blick bloß kühl, ihr war, als kenne sie auch ihn nicht mehr. Er sah aus, wie ein Mafioso aus sämtlichen Filmen. Jetzt fiel es ihr auf. Mario lächelte traurig und senkte den Blick.
Leslie verzog sich in die hinterste Ecke, die, die am weitesten von Raffaello, Mario und all den andern ‚ehrenwerten Herren‘ entfernt war und verharrte dort reglos, ohne etwas zu sagen oder zu denken, bis ein Polizist die Tür aufschloss und ihren Namen rief.
„Leslie McEvans?“ Sie rührte sich nicht. Hoffte, er würde sie nicht finden, sie nicht sehen vor der dunklen Wand. Aber Mario nickte ihr zu und der Polizist folgte seinem Blick. Ungeduldig winkte er sie zu sich. Zögernd setzte sie einen Fuß vor den anderen, dann war sie an der Tür angekommen. Sie schaute sich nicht nach Raffaello oder Mario um, als sie dem Beamten durch die Tür folgte, lief ihm nur nach, durch einen langen, hellen Raum, in dem es vor Schreibtischen, Telefonen und Polizisten nur so wimmelte. Der Marsch endete vor einer hellbraunen Holztür und der Polizist nickte Leslie zu.
„Der
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