Zwischen Olivenhainen (German Edition)
ihren ganzen bisherigen Glauben entzwei rissen. Scheiße, dachte sie.
„Liebe macht bekanntlich blind“, erwiderte Gosetti ruhig. „So etwas Ähnliches hatte ich von dir erwartet. Aber glaub mir: Du wirst es früh genug bereuen und zu mir kommen.“ Er nickte ihr zu.
„Du darfst gehen“, sagte er. „Ich bin sicher, dass irgendjemand vor dem Eingang auf dich wartet. Dein Freund hat noch nie länger als einen halben Tag hier verbracht. Mangel an Beweisen.“ Er zuckte die Schultern.
„Wir sehen uns wieder, Leslie, glaub mir.“
29
Raffaello stand tatsächlich vor dem Eingang des Polizeipräsidiums. Sein dunkelrotes Hemd hob sich seltsam unwirklich von der Dunkelheit ab, das wirre Haar fiel ihm in die Stirn und bedeckte sein Gesicht mit Schatten. Er lächelte nicht, als er sie sah. Beinahe wirkte er unsicher. Leslie blieb vor ihm stehen. Sie wollte umkehren, rein in irgendein schützendes Haus, wo sie sicher war vor diesen verfluchten, widersprüchlichen Gefühlen, die sie nun überkamen, als sie ihn sah. Aber sie blieb. Ihre Beine waren so weich, dass sie glaubte, sich setzen zu müssen. Wahrscheinlich war es der Schock. Die Unsicherheit. Die Freude darüber, ihn heil wiederzusehen. Und da war Angst. Eine gehörige Portion davon.
„Leslie …“, setzte Raffaello mit rauer Stimme an. Er klang erschöpft. Sie schüttelte den Kopf und schnitt ihm das Wort ab. Sie stand einem Verbrecher gegenüber. Einem der „gefährlichsten Männer Italiens“, hörte sie Gosetti sagen. Sie schloss für einen kurzen, kostbaren Moment die Augen. Als sie sie öffnete, war er noch da. Natürlich. Seltsam gequält sah er sie an.
„Tut mir leid“, sagte er. „Es tut mir so leid, dass du da mit reingezogen wurdest, Leslie.“ Sie antwortete nicht. Sah ihn nur nachdenklich an. Wie sollte sie sich verhalten? Was sollte sie sagen? Gar nichts. Sie wartete einfach ab. Raffaello zog seinen Autoschlüssel aus der Hosentasche.
„Ich muss den Wagen holen“, sagte er vorsichtig. „Wegen der Drecksäcke steht er noch vorm Club …“ Sie kaute auf ihrer Unterlippe. Zögerte.
„Ich komme mit“, sagte sie dann. Er sah sie entgeistert an. Aber dann lächelte er.
„Sicher?“, fragte er. „Gosetti fährt dich bestimmt nach Hause. Das wäre besser, Leslie, glaub mir. Du siehst aus, als wärst du todmüde …“ Doch sie schüttelte entschieden den Kopf.
„Nein“, sagte sie mit fester Stimme, „ich komme mit dir.“ Einen kurzen Moment zögerte er, seufzte, dann nickte er.
„ Va bene “, sagte er und dann ging er voraus. Leslie folgte ihm.
Sie gingen nebeneinander her, die Straße hinunter. Einsame Laternen erhellten ihren Weg, in den meisten Häusern war das Licht erloschen, nur auf der Straße war noch einiges los. Sie sprachen kein Wort, während sie unterwegs waren. Leslie beobachtete Raffaello von der Seite. Er wirkte müde, doch seine Bewegungen waren so geschmeidig, wie eh und je. Einen furchtbaren Augenblick lang wollte sie auf ihn zulaufen, ihn umarmen, vielleicht sogar küssen, aber sie ging nur stumm weiter neben ihm her.
Das Laufen auf den hohen Absätzen war unerträglich geworden. Ihre Fersen schmerzten. Sie blieb stehen und zog die Schuhe aus. Ging barfuß weiter. Raffaello hatte ihr zugesehen und jetzt lächelte er, sagte aber nichts. Nach einer halben Ewigkeit, in der sie quer durch Palermo gewandert waren, erreichten sie den Club in dem Fünf-Sterne-Hotel. Viele Fenster waren hell erleuchtet, die Polizisten und die Menschenmenge längst verschwunden. Es standen noch reichlich viele Autos vor dem Gebäude. Sie folgte Raffaello zu seinem Maserati und wäre beinahe in ihn hineingelaufen, als er plötzlich stehen blieb und sich langsam zu ihr umdrehte. Der gequälte Ausdruck auf seinem Gesicht erschreckte sie. Er sah aus, als versänke er in Selbstmitleid.
„Leslie, es tut mir so leid“, sagte er.
„Schon gut“, murmelte sie leise. Aber es war gar nichts gut. Und das wusste er genau. Sie fuhr zusammen, als sie seine Hand an ihrer Wange spürte.
„Du siehst so müde aus“, sagte er.
„Hm“, machte sie nur. Ihr Herz raste. Die Schuhe in ihrer Hand wurden mit einem Mal bleischwer. Jetzt war sie kein bisschen mehr müde.
„Was ist“, stieß sie hervor, bevor er ihr noch näher kommen konnte, „was ist, wenn ich mit … ‚all dem‘ gar nichts zu tun haben will?“ Ein Schatten huschte über sein Gesicht. Vielleicht war es Enttäuschung.
„Dann hättest du mich niemals kennenlernen
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