Zwischen Olivenhainen (German Edition)
Schreibtisch. „Du weißt nicht, wer er ist, nicht wahr?“
Doch, dachte Leslie, doch! Du weißt es nicht, du hirnverbrannter Sherlock! Sie antwortete nicht. Gosetti fuhr fort.
„Die Ruggieros gehören seit Jahrzehnten zu den mächtigsten und, nebenbei bemerkt, gefährlichsten Familien der Cosa Nostra . Du weißt, was das ist? Die sizilianische Mafia.“ Er schenkte sich ein Glas Wasser ein und reichte Leslie auch eins. Sie rührte es nicht an.
„Wollen Sie meine DNA?“, raunzte sie ihn an, aber er lächelte nur amüsiert und sprach weiter.
„Es hat sich viel verändert in dem einen Jahr, in dem du wieder in Schottland warst. Ein Krieg zwischen zwei Familien bahnte sich an, den die Ruggieros schon vor Jahren angezettelt haben. Ich persönlich bin der Überzeugung, dass Raffaello da seine Finger im Spiel seines Vaters hatte. Nun ist er nicht mehr länger der Sohn des großen Capos Salvatore Massimo Ruggiero – er hat nach dessen Tod auch dessen Stelle eingenommen. Tja, ich fürchte, ich muss dir hiermit sagen, Leslie, dass dein Freund einer der gefährlichsten Männer Italiens ist. Wir wissen von drei Morden, die auf seine Rechnung gehen, wenn auch nicht persönlich ausgeführt. Drei Morde in zwei Jahren. Und ich zerbreche mir andauernd den Kopf darüber, ob er nicht auch etwas mit dem Tod seines Vaters zu tun hat …“ Mr. Gosetti musterte Leslie aufmerksam, ganz so, als wolle er herausfinden, ob seine Rede Eindruck auf sie gemacht hatte.
Das hatte sie. Doch Leslie versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie angestrengt nachdachte. Dass es einfach absurd war, Raffaello für drei Morde verantwortlich zu machen. Wieso denn? Er hatte ja nicht einmal eine Waffe. Aber … woher wollte sie das wissen? Wie konnte sie sicher sein? Sie wusste nichts. Gar nichts und allmählich wurde ihr bewusst, dass sie nur einen Teil von Raffaello kannte. Den anderen Teil hatte er sorgsam vor ihr verborgen. Scheißkerl. Plötzlich verschwamm alles vor ihren Augen, und als sie blinzelte, fiel eine Träne auf ihr Kleid. Wütend wischte sie sich über die Augen. Die schwarze Wimperntusche verschmierte und blieb an ihrem Handrücken kleben. Gosetti reichte ihr ein Taschentuch. Sie nahm es und spielte damit herum, anstatt es zu benutzen.
„Seinem Vater konnten wir niemals etwas nachweisen, jedes Verfahren, das gegen ihn oder die Familie lief, wurde eingestellt, bevor ich auch nur mit der Wimper zucken konnte. Und auch dein Freund hat seine Leute im Gericht. In der Politik. Überall.“
„Er ist nicht mein ‚Freund‘“, sagte sie trotzig. Gosetti hob die Augenbrauen.
„Ach nein? Was ist das dann zwischen euch? Freundschaft wohl kaum, wenn ich mir die Fotos hier ansehe …“
„Weiß nicht“, sagte sie. Und in diesem Moment hätte sie beinahe losgeheult. Aber das tat sie nicht.
„Nun, Raffaello hat Schwächen“, fuhr Gosetti fort. „Er ist jung, erstaunlich jung für einen Mann in seiner Position, rebellisch und leichtsinnig. Und sehr von sich und seinen ‚Fähigkeiten‘ überzeugt. Es wird nicht lange dauern, bis er einen Fehler macht. Das kann ziemlich in die Hose gehen, Leslie, also was weißt du?“ Mit stechendem Blick sah er sie über den Rand seiner Brille an.
„Was?“, fragte sie verwirrt. Gosetti seufzte.
„Er hat dich da rausgehalten, hab’ ich recht?“, sagte er. Fast schien es, als sei er enttäuscht. Wahrscheinlich war er das tatsächlich.
„Aus was rausgehalten?“, fragte sie, um ihn zu ärgern. Doch Gosetti schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab.
„Es würde zu lange dauern, dir das alles bis ins Detail zu erklären, glaub mir. Nur so viel: Halte dich von ihm fern, wenn du nicht irgendwann in einem Fass voll Säure landen willst.“
„Was?!“
„Spaß beiseite“, sagte er. „Du weißt nicht, mit wem du es zu tun hast, wenn du dich mit ihm einlässt. Wir haben keine Ahnung, ob er den Krieg gegen die Spaventos eingestellt hat oder nicht. Irgendwas läuft da im Untergrund …“
„Ihnen wäre es doch nur recht, wenn ich da mit reingezogen werde“, rief Leslie wütend. „Sie wollen nur ihre blöden Beweise – und wenn es mich das Leben kostet! Wissen Sie was? Sie kotzen mich an! Und ich werde zu Raffaello halten, darauf können Sie sich verlassen!“
Hatte sie das wirklich gesagt? Dass sie zu einem Verbrecher hielt? Aber das war im Moment egal. Sie wollte raus hier. Nur noch raus. Weg von Gosetti und seinen Geschichten, die wie Trümmer auf sie einstürzten und
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