Zwischen Olivenhainen (German Edition)
verzog das Gesicht.
„Hab’ ich dir doch gesagt“, sagte er zu Leslie.
„Halt die Klappe!“, rief Anne. „Und jetzt hau bloß ab, du Mafioso!“ Sie drehte sich zu Leslie um, die dastand, ohne sich zu rühren. „Leslie, er ist ein Verbrecher, ein Schwerverbrecher, das ist dir doch klar?“ Da erwiderte Raffaello etwas auf Italienisch. Anne konnte es nicht verstanden haben, aber sein Ton war so eiskalt, dass es Leslie noch kälter den Rücken hinab lief. Sie schauderte.
„Pass auf, was du sagst“, sagte er jetzt zu Anne auf Englisch. Die stand da, für einen Moment völlig verunsichert, vielleicht sogar eingeschüchtert, doch dann hatte sie sich genauso schnell wieder unter Kontrolle.
„Von dir lasse ich mich ganz sicher nicht einschüchtern, hörst du?!“, pflaumte sie ihn an. „Und lass deine Verbrecherfinger von Leslie! Capito ?“ Sie legte Leslie einen Arm um die Schultern und zog sie auf die offene Haustür zu, doch Leslie sträubte sich. Sie blickte Raffaello hinterher, der schon ein Stück die Auffahrt hinuntergegangen war, sich aber jetzt noch einmal umdrehte.
„ Buona notte , Leslie“, sagte er und es klang fast ein bisschen wehmütig.
„ Buona … notte “, murmelte sie, obwohl sie genau wusste, dass er sie nicht gehört hatte. Dann drehte er sich um und ging. Anne zog Leslie ins Haus, noch bevor sie sehen konnte, wie er losfuhr, und schloss die Tür ab.
Im Wohnzimmer saß Antonio. Vor dem laufenden Fernseher. Als er Leslie sah, sprang er auf und umarmte sie noch fester, als Anne es eben getan hatte.
„Oh Gott“, flüsterte er, „oh Gott, ich dachte schon, du kommst da nicht mehr raus. Dieser Scheißkerl …!“ Wütend machte sich Leslie von ihm los.
„Es war nicht seine Schuld, versteht ihr das nicht?“, rief sie. Anne und Antonio standen da und sahen sie mit diesem Blick an, mit dem man ein kleines Kind ansieht, das den Ernst des Lebens nicht begreifen will.
„Der Typ ist ein Verbrecher, Leslie“, sagte Anne leise. „Er ist ein Mafiaboss! Zur Hölle, warum willst du das nicht begreifen?!“ Dann schluchzte sie auf. Anne weinte nie. Aber jetzt tat sie es doch. Sie kam auf Leslie zu, um sie erneut zu umarmen, und die ließ es über sich ergehen, tätschelte Anne die Schulter.
„Was hat er mit dir angestellt, dass du ihn so sehr liebst? Dass du so blind bist?“, schniefte Anne ihr ins Ohr. Leslie schüttelte den Kopf.
„Ich liebe ihn nicht“, sagte sie.
„Doch, tust du“, heulte Anne. Leslie widersprach nicht mehr.
„Lass das alles meine Sorge sein, okay?“, flüsterte Leslie, aber Anne schüttelte nur den Kopf.
„Gib ihm den Laufpass“, schniefte sie. „Gib ihm den Laufpass. Er ist ein Verbrecher. Ein Mörder! Ich hab’ keine Lust, irgendwann deine zerfetzten Überreste identifizieren zu müssen, die man in einem Fass voll Säure gefunden hat.“ Da machte Leslie sich von ihr los.
„ Mein Leben“, sagte sie entschieden, „ meine tödlichen Entscheidungen.“ Dann drehte sie sich um und lief in das Zimmer, das sie nicht benutzten. Dort angekommen warf sie sich in dem teuren Kleid auf das Bett am Fenster und starrte an die Decke. Stundenlang. Sie hörte, wie Anne sich im Wohnzimmer aufregte, wie Antonio vergeblich versuchte, sie zu beruhigen.
Die Nacht schritt voran. Bald würde der Morgen nahen. Leslie öffnete das Fenster und kletterte auf die steinerne Fensterbank. Dann wählte sie Raffaellos Nummer.
„ Pronto ?“, ertönte seine Stimme am anderen Ende der Leitung. Er klang todmüde.
„Ich bin’s“, hauchte Leslie in den Hörer.
„Leslie!“ Danach schwiegen sie eine ganze, unangenehme Weile.
„Ich hab’ über alles nachgedacht“, murmelte sie schließlich. Aber das hatte sie nicht. Es war nur das Gefühl, das Richtige zu tun.
„So?“, fragte er.
„Ich finde es … okay. Das mit deiner Familie. Und … mit dir.“ Es schien ihm die Sprache verschlagen zu haben. „Ich … vermiss dich“, nuschelte sie hastig in den Hörer – dann legte sie auf. Sie steckte sich die Kopfhörer ihres iPods in die Ohren und hörte ‚ Release Me ‘, so lange, bis sie nicht mehr nachdenken musste. Sie hatte das Richtige getan. Egal, was Anne sagte.
Drei Tage vergingen und er meldete sich nicht. Leslie spielte mit dem Gedanken, ihn einfach anzurufen, aber immer, wenn sie seine Nummer schon gewählt hatte, legte sie blitzschnell auf. Und verfluchte sich hinterher dafür. Sie zerbrach sich den Kopf über ihre Gefühle, als er sie geküsst hatte,
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