Zwischen Olivenhainen (German Edition)
nicht da. Klasse. Wütend wollte sich Leslie umdrehen, als sie den alten Mann bemerkte, der vor einem riesigen Fernseher saß und sie die ganze Zeit über angesehen hatte. Sie erschrak sich fast zu Tode. Starrte den Alten eine Weile lang nur an. Er war sehr ordentlich gekleidet, in einen grauen Anzug, das weiße Haar hatte er mit viel Gel über den Kopf zurückgekämmt. Seine äußere Erscheinung war schon fast angsteinflößend, dichte Brauen überwucherten seine kleinen, grauen Augen, tiefe Falten zogen sich quer über sein Gesicht, von denen manche aussahen, wie alte Narben. Aber er lächelte zu ihr auf.
„Ich hatte eigentlich gehofft, Sie würden mich nicht so müde zu Gesicht bekommen“, sagte er. Seine Stimme klang rau und irgendwie gepresst, aber nicht unangenehm. Er schnaufte und hob seinen schlanken, ein wenig gekrümmten Körper aus dem Sessel. So alt er auch aussah, zu Fuß war er noch gut unterwegs. Er streckte Leslie eine faltige, mit Altersflecken übersäte Hand entgegen. Vorsichtig ergriff sie sie.
„Vincenzo Cantone“, stellte er sich vor. „Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Miss McEvans.“ Leslie zögerte. Woher kannte er ihren Namen?
„Meine Tochter finden Sie sicher unten im Erdgeschoss in der Küche“, sagte er. „Sie kocht leidenschaftlich gerne.“ Er lächelte und tausend Fältchen bildeten sich um seine Augen. Und da begriff Leslie.
„Sie … sind der Freund, von dem Raffaello gesprochen hat“, sagte sie. Großer Gott, sie stand einem mächtigen Mafiaboss gegenüber! Vorsichtig trat sie einen Schritt zurück. Der Alte nickte langsam, fast würdevoll.
„Raffaello hat mir viel über Sie erzählt“, sagte er.
„Oh“, machte Leslie, nicht sicher, was sie darauf antworten sollte.
„Nach allem, was ich über Sie zu hören bekommen habe, habe ich ihn gewarnt, dass es Ihnen nicht gefallen wird, hier zu bleiben.“ Er holte tief Luft. „Aber ich konnte es ihm nicht ausreden. Ihre Sicherheit liegt ihm sehr am Herzen, meine Liebe“, sagte er und lächelte warmherzig. Der alte Mann war ein Mafiaboss. Und wahrscheinlich gingen jede Menge Morde und Erpressungen auf seine Rechnung. Sie hätte Angst haben sollen, Respekt, aber der Mann, der da vor ihr stand, wirkte so harmlos wie ein alter Mann im Altenheim. Es fiel Leslie nicht leicht, ihn mit schweren Verbrechen in Verbindung zu bringen. Und überhaupt sah er eher aus wie Serafinas Großvater.
„Ich … er hat mich nicht gefragt, ob ich hier sein will“, sagte sie schließlich. Irgendwie hatte es der Alte allein durch seinen Anblick geschafft, dass sie ihm vertraute. Es war geradezu erschreckend. Aber sie konnte nichts dagegen unternehmen, so sehr ihre Vernunft auch protestierte. Vielleicht hatte sie vergessen, was ‚vernünftig‘ bedeutete. Vielleicht hatte Raffaello dazu beigetragen. Vielleicht auch sie selbst. Vincenzo Cantone lächelte.
„ Sì , er fragt nicht oft, bevor er etwas tut, ich weiß“, sagte er. „Sein Vater war da ähnlich. Er hat mehr von ihm, als er sich eingestehen will.“
„Kennen Sie ihn gut? Raffaello, meine ich“, sagte Leslie. Er nickte.
„Oh ja, sehr lange. Und sehr gut. Wir sind eng befreundet. Er hat mir geholfen und seitdem stehe ich in seiner Schuld. Also erwies ich ihm den Gefallen, Sie alle bei mir aufzunehmen.“
„Aha“, machte Leslie. Sie fragte sich, was das für eine Hilfe war, die Raffaello ihm geleistet hatte. Aber wahrscheinlich ging sie das nichts an. Wie alles, das mit den ‚Geschäften‘ zu tun hatte.
„Ich werde ihm auch helfen, seinen Plan zu verwirklichen“, sagte der Alte. Von einem Plan hatte auch Raffaello gesprochen.
„Was für ein Plan?“, rutschte es ihr heraus, bevor sie es verhindern konnte. Sie biss sich auf die Zunge. Aber der Alte lächelte bloß und winkte ab.
„Es ist gut, dass Sie neugierig sind“, sagte er. „Aber jetzt sollten Sie meiner Tochter Gesellschaft leisten. Roberto wird Sie in die Küche bringen.“ Keine Fragen stellen. Schon verstanden, dachte Leslie knurrig. Offensichtlich waren alle Mafiosi ziemlich verbohrt in dieser Hinsicht. Da trat Roberto auch schon neben sie und lächelte höflich. Wo zum Henker war er überhaupt so schnell hergekommen?
„Kommen Sie mit“, sagte er und wies auf die Tür. Zögernd folgte Leslie ihm, nachdem sie sich von Vincenzo Cantone verabschiedet hatte.
„Wissen Sie was?“, knurrte sie. „Gegen die Worte ‚Kommen Sie mit‘ bin ich allergisch.“ Roberto hob erstaunt die Brauen. Er war
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