Zwischen Olivenhainen (German Edition)
nicht allzu groß, schlank, das schwarze Haar hatte er kurz geschnitten. Und er trug eine Brille, die ihn beinahe aussehen ließ, wie einen englischen Oxford Studenten.
„Warum das?“, fragte er, während er neben ihr den langen Flur entlang schritt. Er konnte nicht älter sein als fünfundzwanzig.
„Weil Ihr werter Begleiter das zu mir gesagt hat, als Sie mich entführt haben“, sagte Leslie trocken.
„Lorenzo. Sieht ihm ähnlich, Ihnen gleich eine Pistole vor die Nase zu halten“, sagte Roberto entschuldigend.
„Dann sollte er das gar nicht?“
„Nein. Er hat deswegen auch Ärger mit dem Boss bekommen.“ Wie selbstverständlich er das Wort ‚Boss‘ gebrauchte. Gruselig.
„Wir sind gleich da“, sagte er nach einer Weile und machte schließlich vor einer breiten, aus dunklem Holz gefertigten Tür Halt.
„Ich nehme an, Signorina Cantone wartet schon. Oder sie kocht.“ Roberto lächelte ihr freundlich zu, dann drehte er sich um und eilte den Korridor wieder davon. Zögernd klopfte Leslie an die Tür. Niemand öffnete. Sie klopfte erst gar nicht noch einmal, sondern stemmte sich gegen das dicke Holz und schlüpfte durch den Türspalt in den Raum. Der Geruch nach heißem Bratfett stieg ihr in die Nase, nach frischem Brot, Gewürzen und heißem Wasserdampf.
Sie blieb stehen und nahm alle Gerüche in sich auf, konnte nicht verhindern, dass ihr das Wasser im Mund zusammenlief, als sie die frischen Brote sah, die auf einer riesigen Anrichte am Herd lagen. Daneben reihten sich Paprikaschoten, Gewürze, Tomaten, Töpfe, Messer, Gemüse und Nudeln. Und Oliven. Und dazwischen schaute Serafina Cantones dichter Lockenkopf hervor. Das Haar hatte sie mit einem bunten Tuch zusammengebunden, eine Schürze übergezogen, aber die hohen Schuhe trug sie noch immer.
Sie schien so in ihre Arbeit vertieft, dass sie Leslie gar nicht bemerkte. Italienische Musik lief im Hintergrund, ein kleines Radio stand auf einem Schrank an der weiß gekachelten Wand, der mit Töpfen, Pfannen und Schüsseln gefüllt war. Vorsichtig trat Leslie neben Serafina.
„Ah, Leslie!“, rief sie fröhlich aus. „Da bist du ja!“ Sie duzte sie einfach, aber das war Leslie sowieso lieber, als dieses ewige ‚Sie‘.
„Ich habe haufenweise Rezepte vor mir, die ich kochen möchte. Hilfst du mir?“ Leslie nickte. Obwohl sie nicht die leiseste Ahnung hatte, wie sie die italienischen Kochbücher, die überall verstreut lagen, entziffern sollte.
Vor den Tintenfischen, die Serafina wenig später aus dem Kühlschrank holte, ekelte sie sich gewaltig. Sie glotzten sie aus toten Augen an, lagen schwabbelig in einer Schüssel und Leslie stieg der Fischgeruch in die Nase. Beinahe musste sie würgen. Sie wandte sich ab, überließ der grinsenden Serafina das Zuschneiden der Tintenfische und widmete sich stattdessen einem der Kochbücher, das aufgeschlagen auf der Anrichte lag. Sie verstand kein Wort von dem, was da stand.
„Ich hab’ deinen Vater getroffen“, sagte sie nach einer Weile. Serafina sah kurz auf.
„Ach?“, sagte sie. „Wo?“
„Ich habe dich gesucht. Er saß in deinem Zimmer im Sessel.“
„Hm“, machte Serafina. „Dorthin zieht er sich zurück, wenn er über etwas Wichtiges nachdenken muss.“
„Dann habe ich ihn gestört?“, fragte Leslie erschrocken, doch Serafina winkte ab.
„Was hat er dir denn erzählt?“, fragte sie und hackte mit einem Beil auf die Tintenfische ein. Leslie verzog angeekelt das Gesicht.
„Er hat nur von Raffaello erzählt und dass er in dessen Schuld steht.“ Und plötzlich traute sie sich, nach allem zu fragen. Vielleicht wusste Serafina etwas Genaueres.
„Was hat er denn getan?“, fragte sie, während sie eine Paprikaschote zerschnitt. Serafina ließ das Hackbeil sinken.
„Raffaello?“, fragte sie und Leslie nickte.
„Er hat ihm das Leben gerettet“, sagte Serafina ernst.
„Oh“, machte Leslie. „Was ist passiert?“
„Darüber sprechen wir nicht gerne. Es gab jemanden, der für meinen Vater gearbeitet hat – aber nicht nur für ihn. Er war ein Spitzel von Michele Spavento. Und einer seiner besten Killer.“
„Verstehe …“, murmelte Leslie, geschockt über das, was Serafina ihr erzählt hatte. Und, dass es ganz offensichtlich die Wahrheit war.
„Raffaello hat es irgendwie rausgefunden und gleich etwas unternommen“, sagte Serafina. Leslie konnte sich denken, was er unternommen hatte.
„Der Mann hat nicht lange überlebt, nehme ich an“, sagte sie und Serafina
Weitere Kostenlose Bücher