Zwischen Olivenhainen (German Edition)
lange Schlange. Anne stöhnte genervt auf.
„Nee, oder?“, maulte sie. „Wir müssen aussteigen und auf den nächsten Flug warten! So ein Mist!“ Aber sie beeilte sich nicht, an ihren Koffer zu kommen, sondern ließ sich einfach wieder in ihren Sitz fallen, verschränkte die Arme und starrte stur vor sich hin.
„Ich schlage vor, wir warten, bis die alle weg sind“, sagte sie, doch Leslie blieb stehen, um die Situation besser überblicken zu können.
„Tja, dann ruf mal deine Mom an, dass wir erst in vierundzwanzig Stunden zu Hause ankommen“, sagte Anne und Leslie verzog das Gesicht.
„Ich rufe niemanden an. Ich komme an, wenn ich ankomme und damit basta. Sie wird schon nicht umkommen vor Sorge“, murrte sie, stützte die Ellenbogen auf die Sitzlehne vor ihnen und blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Das hatte noch gefehlt. Dass sie nicht von hier wegkamen, wo sie den Abschied doch so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte. Scheiße. Der Tag war gelaufen. Nun gänzlich.
41
Irgendwann hatte sich das Flugzeug weitestgehend geleert und Anne und Leslie standen auf, um ihre Koffer aus den Ablagen zu hieven, dann schlossen sie sich der Menschenreihe vor sich an. Langsam kamen sie dem Ausgang näher. Zwei Stewardessen standen daneben und entschuldigten sich bei jedem, der die Maschine verließ, doch Leslie würdigte sie keines Blickes. Sie ging nur stumm hinter Anne her, der Koffer in ihren Händen schien schwerer zu sein als zuvor.
Die Wartehalle war übersät von Menschen, Gepäckwagen, kleinen Kindern, die quengelnd am Rock ihrer Mutter hingen, und Koffern und Reisetaschen. Die Luft summte voller aufgeregter Gespräche, Flüge wurden per Lautsprecher durchgesagt, Informationen gegeben. Und Leslies Stimmung sank erneut auf einen Tiefpunkt, während sie neben Anne die breite Treppe hinunterstieg. Trübsinnig ging sie weiter, zerrte ihren Koffer hinter sich her – und dann stolperte sie gegen Anne, als diese einfach stehen blieb, den Blick so entsetzt geradeaus gerichtet, dass Leslie einen Moment lang ernsthaft um das Wohlergehen ihrer Freundin besorgt war. Dann zupfte Anne an ihrem Hemd.
„Da …“, sagte sie nur tonlos und deutete mit ausgestrecktem Arm nach vorne in die Menschenmenge. Sie war kreidebleich geworden. Alarmiert folgte Leslie ihrem Blick – und ließ auf der Stelle ihren Koffer fallen. Er fiel die Treppe hinunter und blieb fünf Stufen unter ihr liegen. Einige Leute blickten sich verärgert um. Aber Leslie blickte nur geradeaus. Und konnte es nicht fassen.
Da stand er. Völlig in Schwarz gekleidet, die Sonnenbrille am Hemd, die Hände lässig in den Hosentaschen vergraben, und blickte mit ausdruckslosem Gesicht zu ihr auf. Sie schluckte. Menschen drängten sich genervt an ihr vorbei, rammten sie mit den Ellenbogen. Dann lief sie einfach los. Stolperte die Treppe hinunter, achtete nicht auf Annes erschrockenes Aufquieken, drängte sich zwischen den vielen Menschen hindurch – bis sie direkt vor ihm stand. Er sah verboten gut aus. Sie brachte noch nicht einmal ein Krächzen über die Lippen. Aber das brauchte sie auch gar nicht, denn im nächsten Moment hatte Raffaello sie an sich gezogen und küsste sie. Vor allen Leuten. Vor Anne. Sie schnappte nach Luft, machte sich jedoch nicht von ihm los. Konnte nur unentwegt in seine tiefbraunen Augen sehen, in denen ein schalkhaftes Blitzen lag.
„U-unser Flug wurde gecancelt“, brachte Leslie schließlich krächzend über die Lippen. „Keine Ahnung, warum …“ Er grinste.
„Ich weiß“, sagte er seelenruhig und spielte mit ihrem Haar – und da begriff sie.
„Warst du das?!“, rief sie entsetzt. Er nickte. Und zog sie so dicht an sich, dass sie seinen Atem auf den Lippen spüren konnte.
„ Ti amo , Leslie“, sagte er leise. „Ich habe dich einmal gehen lassen, letztes Jahr – das mache ich nicht noch ein zweites Mal.“ Und bevor sie auch nur irgendetwas erwidern konnte, küsste er sie erneut – bis ein wütender Schrei hinter ihnen ertönte.
„Du wusstest es!“, kreischte Anne außer sich, und als Leslie und Raffaello sich erschrocken zu ihr umdrehten, ließ sie gerade sämtliche Koffer, mit denen sie beladen war, fallen und kam wutschnaubend auf Raffaello zugestürmt.
„Leslie, er hat es gewusst!!“, rief sie. „Dass wir nicht fliegen! Nein, Moment – er hat eigenhändig dafür gesorgt!“ Vor Wut schäumend wandte sie sich an Raffaello, der verwundert und sogar ein kleines bisschen
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