Zwischen Olivenhainen (German Edition)
geholt.
„Ab und zu haben wir mit seiner … Arbeit zu tun“, sagte er.
„Wir?“, wiederholte sie.
„Ach, naja, die Familie eben.“ Leslie hatte das Gefühl, dass er sich auf die Zunge biss, weil er irgendetwas Falsches gesagt hatte, das er nicht hatte ausplaudern dürfen. Seltsam. Sie beschloss, ihm aus der Patsche zu helfen.
„Ach stimmt ja“, sagte sie schnell, „Gosettis Versicherungskram ...“ Sie lächelte Mario aufmunternd zu und hoffte inständig, dass sie nicht allzu neugierig dabei aussah. „Er kennt bestimmt einige Leute …“ Beinahe schien Mario aufzuatmen.
„Stimmt“, knurrte er dann aber, „eine Menge …“
Um sich von ihrer Neugier abzulenken, betrachtete Leslie die alten Damen, die auf einer der Bänke am Rande der Piazza saßen, riesige, scheinbar uralte Fotoapparate in den faltigen Händen. Leslie war sich fast sicher, dass es genau dieselben waren, die am Tisch neben ihr und Raffaello im ‚Conte‘ gesessen hatten. Eine der alten Frauen mit hellgrauen, kurzen Locken, die sie wahrscheinlich künstlich beim Friseur machen ließ, blickte zu ihr herüber und Leslie merkte sofort, dass sie sie wieder erkannt hatte. Höflich lächelte sie ihr zu, bevor sie schnellst möglich den Blick abwandte.
Mario und sie hatten bereits das Ende der Piazza erreicht, dahinter drängte sich der dichte Verkehr wieder in den Nebenstraßen.
„Na, dann sollten wir uns besser wieder auf den Rückweg machen“, schlug Mario vor. „Ich muss sowieso los.“ Er ging mit großen, federnden Schritten vor Leslie her, die sich beeilen musste, um mit ihm mithalten zu können. Himmel, wie konnte ein Mensch nur so lange Beine haben?
„Ich wette, deine Freundinnen suchen dich“, sagte er − und ging noch schneller.
„Ach was“, keuchte Leslie, während sie neben ihm her trabte. „Melissa konnte mich doch die ganze Zeit über sehen.“
„Nicht nur sie, schätze ich“, murmelte Mario und dann noch verärgert irgendetwas auf Italienisch.
Als Leslie den Blick nach vorne auf Melissa richtete, entdeckte sie Anne, die gleich neben ihr stand – und Mr. Gosetti. In Anzug und Krawatte, mit einem schweren Aktenkoffer beladen stand er da und rührte sich nicht. Sein etwas düsterer Blick war auf Mario gerichtet, dann und wann huschten seine wachen, ernsten Augen zu Leslie hinüber, die an dessen Seite ging.
„Hey, Leslie“, sagte Anne, als sie bei ihr, Melissa und Mr. Gosetti angekommen war, und zog sie sofort an ihre Seite, um ihr zuzuraunen: „Wer ist das denn jetzt?“
„Später“, murmelte Leslie nur, denn plötzlich hatte sie nur Augen für Mario, der sich schon umgedreht hatte, bevor er überhaupt erst bei der kleinen Gruppe ankommen konnte. Nun eilte er mit großen Schritten in die entgegengesetzte Richtung davon, ohne sich noch einmal umzusehen, geschweige denn sich von ihr zu verabschieden. Genau wie Raffaello, dachte Leslie plötzlich. Sie blickte Marios schmaler Gestalt nach, bis er die Piazza in Richtung Hauptstraße verlassen hatte.
„Das ist der Freund, von dem ich dir gestern erzählt habe“, sagte sie zu Anne.
Anne nickte. „Der mit dem fetten Jaguar?“
„ Jep . Er hat mich erkannt und wir haben uns etwas unterhalten.“
„Über wen oder was?“, mischte sich plötzlich Mr. Gosetti ein. Erschrocken blickte Leslie zu ihm auf.
„Dad“, beschwerte sich Melissa und nahm ihren Vater am Arm. „Ich glaube nicht, dass –“
„Ich möchte es wissen“, unterbrach Gosetti sie. „Es könnte wichtig sein.“ Mit einem Mal fühlte Leslie sich unwohl. Gosettis stechender Blick war auf sie gerichtet. Dabei schien die Sonne, der Platz war voll von Touristen und es gab absolut keinen Grund, sich unwohl zu fühlen. Aber der ernste Blick aus Mr. Gosettis braunen Augen ließ sie ein wenig in sich zusammenschrumpfen.
„Nun gut“, brummte Gosetti dann etwas milder. „Leslie, kann ich mich irgendwann in den nächsten Tagen mit dir unter vier Augen unterhalten?“
„Dad!“, zischte Melissa. „Lass das!“
„Mal sehen“, murmelte Leslie nur, dann ließ sie sich von Anne wegziehen, quer über die Piazza , den Weg zurück, den sie gekommen waren.
14
Am nächsten Morgen stand Leslie schon früh auf, um runter zum Frühstücken zu gehen, ohne Anne oder Melissa im Schlepptau haben zu müssen. Außerdem würde Anne sie so nicht die ganze Zeit über im Auge behalten können und sie dazu zwingen, mehr zu essen. Eine Schale Obstsalat. Auf mehr hatte sie wirklich keinen Hunger.
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