Zwischen Olivenhainen (German Edition)
verdammt!“
„Naja, ich hab’ ihn ja noch nicht oft gesehen“, sagte Anne. Leslie riss sich erneut ein Blatt Klopapier ab und schnäuzte sich geräuschvoll die Nase. Sie schmiss es in die Toilette.
„Ich dachte, ich sehe ihn nicht mehr. Ich hab’ gehofft, er fährt nach Rom zurück“, murmelte sie leise. „Er hat mich eben genau gesehen.“
„So ein mieser Hund“, knurrte Anne. „Soll ich mal mit ihm reden? Ich sagte ja, wenn er irgendwas Dummes anstellt, poliere ich ihm die geldverschmierte Fresse!“
Leslies Herzschlag setzte aus. „Gott, bloß nicht!“, entfuhr es ihr erschrocken.
„War nur’n Vorschlag.“ Sie schwiegen. Leslie putzte sich die Nase. Es war so still, wie es auf einem Klo nur sein konnte.
„Kommst du wieder mit raus?“, fragte Anne schließlich. „Unser Essen ist sicher schon kalt.“
Leslie verzog das Gesicht. „Ich hab’ keinen Hunger mehr“, murrte sie.
„Du musst aber essen, Leslie!“
„Muss ich nicht.“
„Doch, sonst erzähle ich Melissa, dass du magersüchtig bist und –“. Leslie funkelte sie an.
„ Sorry “, murmelte Anne, und sie schien es ernst zu meinen. „Hätte ich jetzt nicht sagen sollen …“ Wieder schwiegen sie. Bis Anne die Klotür öffnete und aus der engen Kabine trat.
„Komm her“, sagte sie sanft. „Ich rette, was zu retten ist. Damit du hoch erhobenen Hauptes an dem Mistkerl vorbeigehen kannst.“ Sie lächelte schwach. Zögernd kam Leslie aus der Kabine hervor. Anne wischte ihr mit einem angefeuchteten Tuch im Gesicht herum.
„Zeig ihn mir“, sagte sie.
„Nein!“
„Warum? Ich will den Arsch sehen, der meine beste Freundin so verletzt hat!“
Leslie biss sich auf die Unterlippe. „Ich hätte ihm nie begegnen sollen“, murmelte sie leise.
„Zeigst du ihn mir?“, fragte Anne und musterte sie aufmerksam.
Leslie nickte. „Na gut …“ Anne lächelte, doch sie sagte nichts mehr, bis sie fertig war mit ihrer Arbeit und Leslie wieder einigermaßen ansehnlich aussah. Dann machten sie sich auf den Weg zurück ins Restaurant.
So unauffällig wie nur möglich lugten sie hinter einer Zimmerpalme hervor. Kellner eilten geschäftig hin und her. Neue Gäste trafen ein. Leslie und Anne linsten vorsichtig um die Ecke. Er war nicht mehr da.
„Wo ist er?“, raunte Anne leise, obwohl kein Grund dazu bestand, denn im Raum herrschte ein allgemeines Stimmengewirr.
„Welcher von den Men in Black ist er?“ Leslie brachte einen Moment kein Wort über die Lippen.
„Er ist weg“, sagte sie dann.
„Was?“, entgegnete Anne tonlos.
„Ja“, sagte Leslie trocken. „Er hat sich feige aus dem Staub gemacht oder ich habe Halluzinationen.“ Die Übelkeit in ihrem Magen verschwand, dafür bekam sie Kopfweh. Sie fühlte sich grässlich leer und ausgetrocknet.
„Lass uns gehen“, sagte sie dann und zog Anne auf ihren Tisch zu.
17
Am Morgen des 12. Juli saß Leslie neben Anne im Flugzeug. Sie hatten bereits am Vortag ihre Koffer gepackt und an diesem Morgen war Leslie mit Anne, Melissa und Mr. Gosetti zum Flughafen gefahren, wo sofort der Rückreisestress begann und der sein Ende erst finden würde, wenn sie zurück in Schottland angekommen sein würden. Anne hatte Leslie großzügig den Platz am Fenster angeboten, doch sie hatte nur den Kopf geschüttelt. Sie wollte die Insel nicht mehr sehen, nicht den Flughafen, den sie beim Start langsam hinter sich zurückließen. Sizilien schrumpfte, wurde immer kleiner und als man schließlich nur noch eine zarte Wolkendecke sehen konnte, schenkte Anne Leslie ein aufmunterndes Lächeln.
„Wir sind weg“, sagte sie. „Wenn du willst, kannst du jetzt auf meinen Platz.“ Aber Leslie blieb bei ihrer Entscheidung. Sie würde ohnehin nichts Neues zu sehen bekommen. Wenn sie erst mal Edinburgh erreicht haben würden, würden ihnen dichte Regenwolken die Sicht nehmen, Regentropfen würden an die runden Fenster klatschen, Anne würde sich über das Wetter aufregen und Leslie würde bemerken, dass sie ihren Regenschirm blöderweise nicht in ihr Handgepäck gepackt hatte. Und alles würde so sein, wie immer. Nichts würde sie mehr daran erinnern, dass sie auf Sizilien gewesen war, außer ihrer gebräunten Haut. Und nichts würde ihr einen handfesten Beweis liefern, dass sie Raffaello getroffen hatte. Hoffentlich nichts.
Doch da waren noch die Erinnerungen an ihn, ganz besonders die schlimmste Begegnung mit ihm. Den Kuss konnte Leslie nicht vergessen, es gelang ihr höchstens, ab und zu,
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