Zwischen Pflicht und Sehnsucht
liebsten einen Faustschlag verpasst. Hatte er den Verstand verloren? Oder wollte er sie dazu bringen? Wer war er? Hochmütiger Aristokrat oder charmanter Gentleman? So langsam war ihr das egal.
„Unsinn“, entgegnete seine Mutter. „Ich werde darauf achten, dass wir beide unsere Zeit vernünftig einteilen. Wir werden uns dabei köstlich amüsieren. Du wirst“, führte sie ihren Trumpf ins Feld, „in keiner Weise inkommodiert werden.“
„Aber Mutter“, erwiderte er sanft, „vielleicht ist das eine Aufgabe, derer meine Braut sich annehmen sollte?“
„Ich würde diesem Argument wesentlich mehr Gewicht beimessen, wenn eine solche Person existieren würde.“ Die Viscountess rümpfte die Nase. „Es ist dir bisher noch nicht gelungen, die Hand einer waschechten Puritanerin zu gewinnen, mein Junge.“
„Ich wage zu behaupten, dass Ihre Frau Mutter in jedem Fall mehr Freude an einem solchen Unterfangen haben wird, Mylord“, fiel Emily mit einem bedeutsamen Blick ein.
Tatsächlich schien ihn dieses Argument umzustimmen. „Na, meinetwegen“, kapitulierte er ungnädig. Er wandte sich Sophie zu, und seine Augen verengten sich. „Ich bitte Sie beide, hier und jetzt, mich aus dieser Angelegenheit herauszulassen. Ich wünsche nicht, dass man Rücksprache mit mir hält oder mich hinzuzieht. Vielmehr wäre ich hocherfreut, wenn ich kein weiteres Wort über die Sache hören würde, bis sie vollendet ist.“
Sophie schluckte ihre Enttäuschung herunter. Sie hatte sich geirrt. Der Charles, nach dem sie sich so gesehnt hatte, war nichts als die närrische Träumerei eines jungen Mädchens. Das Gespenst eines Mannes, der aus jenem gutherzigen Jungen hätte werden können.
Der wirkliche Charles Alden, musste sie sich eingestehen, war eine Statue mit hartem Gesichtsausdruck, mehr Marmor als Fleisch und Blut. Er hatte kein Verlangen danach, ihre Freundschaft zu erneuern, und sie – nun, sie war längst zu alt dafür, sich in Tagträumen zu verlieren.
Sophie erwiderte seinen steinernen Blick und nickte zustimmend, während Lady Dayle und Emily voller Aufregung über ihre Pläne plauderten. Sie würde seine Bedingung nur zu gern erfüllen. Sie würde ihr Bestes für die Viscountess geben und das Haus zu einem Ort der Schönheit und der Harmonie machen. Aber in den nächsten zehn Jahren würde sie ganz sicher keine Lust mehr haben, Charles wiederzusehen.
Er erhob sich. „Ich überlasse die Damen nun den Elfen, der Einrichtung und ähnlichen Belanglosigkeiten.“ Er verbeugte sich und ging, wobei er sorgfältig vermied, Sophie anzublicken.
Sie sah ihm nach und fühlte ihre Träume mit ihm schwinden, und der lustige grüne Handabdruck auf seiner Schulter war ihr nur eine geringe Befriedigung.
Charles umklammerte seinen Hut mit zitternden Fingern, als die Tür sich hinter ihm schloss. Lange stand er einfach da und krümmte die Schultern, um den Schmerz abzuwehren. Sophie.
Als er erkannt hatte, wer sie war, hatte er sich für den Bruchteil eines Augenblicks selbst vergessen. Begeisterung war in ihm aufgewallt. Endlich war das Schicksal ihm gewogen, hatte ihm die eine Person geschickt, die ihn auf elementare und befriedigende Weise völlig verstand. Die Freude und Erleichterung waren überwältigend gewesen. Seine Verbündete, seine Freundin, seine Sophie.
Dann hatte Mrs. Lowder mit ihrem Gerede von Skandalen angefangen, und er war wieder zu sich gekommen. Hatte begriffen. Sie würde es nie verstehen, doch sie konnten nicht zurück zu dem, was sie gehabt hatten. Der Gedanke schmerzte ihn fast körperlich.
Die Freundin seiner Kindertage war erwachsen geworden. Eine Schönheit, so voller pulsierender Energie, so leidenschaftlich und unkonventionell wie schon immer. Er hatte sich nach ihrer Gesellschaft gesehnt. Er wollte ihr alles erzählen und alles erfahren, was sie in den vergangenen Jahren getan hatte. Doch er konnte es nicht. Nach ihren beiden ungewöhnlichen Begegnungen zu schließen, hatte sie sich nicht verändert. Sie war ungestüm, eigensinnig und immer in Schwierigkeiten. Eine Freundschaft mit ihr wäre gefährlich. Gift für Viscount Dayle. Es war ihm sofort klar geworden: Er konnte sie nicht haben. Niemals.
Also hatte er sie in seinem Schmerz rücksichtslos angegriffen. Nun würde sie ihn verachten, und es war besser so. Leichter.
Charles richtete sich auf und schleppte sich davon. Er würde nach Hause gehen und diese Situation auf die Weise betrachten, die ihr gebührte – durch den Boden einer Flasche
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