Zwischen Pflicht und Sehnsucht
Cognac. Dann würde er den Rest seines Lebens so verbringen, wie es ihm gebührte. Allein.
4. KAPITEL
„Sophie, Sie hören mir ja gar nicht zu.“ Lady Dayles Worte drangen kaum zu ihr durch.
„Was?“ Sie blinzelte und konzentrierte sich wieder auf das Durcheinander an Stoffproben, die vor ihr ausgebreitet lagen. „Oh ja, das hier ist reizend, aber ich weiß nicht, ob wir noch viele auswählen sollten, bevor ich das Haus gesehen habe.“
Das stimmte. Was sie allerdings unausgesprochen ließ, war die Tatsache, dass sie sich, auch wenn das die Chance ihres Lebens war, kaum auf die Pläne für das Haus konzentrieren konnte, ohne von einem Ansturm widersprüchlicher Gedanken an dessen Besitzer überwältigt zu werden. Im einen Moment wünschte sie ihn zum Teufel und wollte ihn nie wiedersehen. Im nächsten wollte sie ihn niederschlagen, sich auf ihn werfen und ihn so lange ins Ohr zwicken, bis er gestand, was genau ihn dazu bewogen hatte, sich wie ein Esel zu benehmen – genau wie sie es früher getan hatte, als sie zwölf war und er ihre Malkreiden versteckt hatte.
„Ich weiß, mein Liebes, und es ist nicht mehr lange hin, bis wir es zu sehen bekommen. Ich habe die Dienstboten schon angewiesen, alle Abdeckungen zu entfernen und das Haus zu reinigen. In ein oder zwei Tagen können wir uns dort umsehen und … Oh, ich habe die Idee! Wir machen eine Party daraus!“
„Party? Aber wir werden dort so viel zu tun haben.“
„Das stimmt. Nun, wir können wenigstens ein Picknick veranstalten. Emily und ihr Kleiner werden es genießen. Jack kann mitkommen, er muss ab und zu von seinen Büchern weg. Und Charles soll uns begleiten. Wie erquicklich das wird, wenn wir alle zusammen hinausfahren!“
Ein kleiner Schauer der Panik lief Sophie bei der Erwähnung des Namens den Rücken hinunter. „Ich glaube, wir sollten Lord Dayle nicht behelligen. Ich habe ihm versprochen, ihn nicht mit unserem Unterfangen zu belästigen, wie Sie sich sicher erinnern.“
„Zieren Sie sich nicht so! Wir sind seine Familie. Es ist sein Haus, um Himmels willen. Wir können ja diese furchtbar öde Miss Ashford einladen, dann hat er das Gefühl, seine Zeit sinnvoll zu verwenden.“
Das wiederum versetzte Sophie einen Stich. „Miss Ashford?“
„Die führende Anwärterin auf den Titel der langweiligsten Debütantin Londons, weswegen ihr Charles’ Hauptinteresse gilt. Er hat es sich in den Kopf gesetzt, dass die Heirat mit einem sittenstrengen Mädchen aus einer Familie ohne Tadel, in deren Kopf keine zwei Gedanken auf einmal passen, all seine Probleme auf einen Streich beenden wird. Eine Verbindung mit ihresgleichen, denkt er, wird die Partei beschwichtigen, seinen Stand in der feinen Gesellschaft wiederherstellen und die Zeitungen von seinen vergangenen Untaten ablenken.“
Sicherlich war es ein plötzlicher Anfall von Nervenfieber, der Sophie die Kehle zuschnürte und ihre Augen tränen ließ. Keineswegs war der eiserne Griff der Eifersucht oder die Erkenntnis, dass Charles nach so einem Mädchen suchte und es kein Wunder war, dass er nichts mit ihr zu tun haben wollte, daran schuld.
„Wir fragen ihn gleich heute Abend auf dem Ball von Lady Edgeware“, fuhr die Viscountess fort, ohne die Verzweiflung ihres Schützlings zu bemerken.
„Ich weiß, Sie haben entsetzliche Mühen auf sich genommen, um mir eine Einladung zu verschaffen, Mylady, aber ich würde den Abend lieber zu Hause verbringen. Sie wissen, dass gesellschaftliche Vergnügungen nicht der Grund meines Hierseins sind, und zudem fühle ich mich nicht so gut.“
„Unsinn. Arbeit allein macht auch nicht glücklich, meine Liebe. Außerdem denke ich, wir weichen dem wirklichen Problem aus.“ Sie streichelte Sophies Hand. „Irgendwann müssen Sie ihm gegenübertreten, das wissen Sie. Emily und ich werden bei Ihnen sein. Es gibt nichts, wovor Sie Angst haben müssten.“
Entrüstet richtete sich Sophie auf. „Ich habe keine Angst vor Lord Dayle.“ Sie hatte vielleicht nicht Miss Ashfords Stammbaum oder ihre Sittsamkeit, aber sie war kein Feigling.
„Gütiger Herr, warum sollten Sie auch? Ich sprach nicht von meinem verschrobenen Sohn. Ich meinte Lord Cranbourne, Ihren Onkel.“
Ihr Onkel. Ein Mann, für den sie keinerlei Gefühl mehr hegte, nicht einmal Verwirrung. Könnte sie nur das Gleiche von Charles behaupten. „Ich habe auch keine Angst vor ihm, doch ich habe es auch nicht eilig, mit ihm konfrontiert zu werden.“
„Es wird keine Konfrontation
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