Zwischen Pflicht und Sehnsucht
sein, das kann ich Ihnen versichern. Nur ein höfliches, lange überfälliges Treffen.“ Sie ließ das Thema fallen und ging zum nächsten über. „Wir waren in letzter Zeit so beschäftigt mit der Planung für das Haus, dass wir unsere gesellschaftlichen Verpflichtungen sehr vernachlässigt haben. Außerdem müssen Sie unbedingt Lady Edgewares Ägyptischen Raum sehen. Er ist recht berühmt, das können Sie sich nicht entgehen lassen.“
„Na gut …“ Sophie hielt inne. „Soll ich mein Notizbuch mitbringen? Haben Sie etwas Ähnliches für das Haus in Sevenoaks im Sinn?“
„Himmel, nein! Der Raum ist eine einzige Geschmacklosigkeit.“
Sophie dachte sehnsüchtig an ihr Bett und ihre ursprüngliche Abendplanung: ein ruhiges Essen auf ihrem Zimmer, ein schönes, langes Bad und die vielen Porträts, die sie von Charles anfertigen wollte, bevor sie jedes einzelne davon in Stücke riss und dem Feuer anvertraute. Dann dachte sie daran, wie er mit der untadeligen Miss Ashford tanzen oder sie vielleicht in den Garten führen würde, um ihre überaus respektablen Lippen zu küssen.
„Na, wie könnte ich da wohl widerstehen?“
Miss Ashford, dachte Charles, als er die Dame auf die Tanzfläche führte, verkörpert alles, was ich mir von meiner Braut wünsche. Alles, was sie tat, war angemessen, alles, was sie sagte, umsichtig. Sogar wenn sie tanzte, geschah dies auf hochanständige Weise, vollkommen aufrecht und gefasst, ohne irgendeinen Gesichtsausdruck, sei es des Vergnügens oder eines anderen Gefühls.
Warum also versuchte er so verbissen, irgendeinen Riss in ihrer makellosen Fassade zu finden? Er hatte den Abend mit dem Versuch verbracht, etwas zu entdecken – eine Sucht nach modischer Kleidung, einen Hang zum Naschen, eine geheime Vorliebe für nackte Statuen, irgendetwas.
Es war ihm nicht gelungen. Die Dame schien ausschließlich anständig zu sein, sonst nichts. Kein Makel, keine Interessen oder Leidenschaften oder Neigungen. Und auch keine Wärme. Sie nahm seine Aufmerksamkeiten mit ruhiger Würde und ohne ein Zeichen von Zuneigung oder Missbilligung entgegen. Er fühlte sich, als machte er einer Marmorsäule den Hof.
Als ihr Tanz vorüber war, führte er sie zurück zu ihrem Platz, tauschte korrekte Nettigkeiten mit ihrer ebenso faden Mutter aus und verabschiedete sich, wobei er krampfhaft versuchte, nicht zu gähnen. Er gesellte sich zu seinem Bruder.
„Abend, Charles. Du siehst aus wie ein Mann, der einen Schluck vertragen könnte.“ Jack winkte dem Dienstboten und fuhr, nachdem sie beide ein Glas Champagner bekommen hatten, fort: „Ich dachte, du willst vielleicht ein bisschen feiern – dein Name ist eine Woche lang nicht in den Zeitungen erwähnt worden. Dafür ist er auf der Wettliste bei White’s aufgetaucht. Sie wetten darauf, welche dieser stinklangweiligen Debütantinnen die Gelegenheit bekommt, dich zu zähmen.“ Er nahm einen tiefen Schluck.
Charles grinste zufrieden. Endlich liefen die Dinge nach seinem Willen. Er hatte noch viel politischen Boden wettzumachen, und so lächerlich es auch scheinen mochte, sein gesellschaftlicher Erfolg würde ihn dabei schnell voranbringen.
„Ich berichte ihnen gern, dass Miss Ashford die Nase vorn hat“, sagte Jack. „Wäre nicht überrascht, wenn deine Aufmerksamkeit ihr gegenüber es morgen in die seriösen Gesellschaftskolumnen schafft.“
„Gut. Unglücklicherweise war ich nicht so erfolgreich bei der Suche nach dem Herausgeber des ‚Augur‘. Offenbar hat er die Stadt verlassen.“
„Jemand hat ihn gewarnt“, vermutete Jack.
„Ich finde ihn schon noch. Aber ich bezweifle, dass ich weit mit ihm komme, wenn er nur annähernd so ist wie der Herausgeber des ‚Oracle‘. Der hasst den Adel offenbar und fand ein teuflisches Vergnügen daran, mir meine eigenen Verfehlungen unter die Nase zu reiben.“
„Er hat wohl gründlich recherchiert.“ Jack grinste. „Ehrlich, Charles, nicht mal ich wusste, dass du derjenige warst, der die Statue von König Alfred blau angestrichen hat. Es entbehrt nicht einer gewissen Gerechtigkeit, dass du auf dem Weg ins Parlament jeden Tag an dem alten Jungen vorbeikommst.“
Charles unterdrückte ein Lächeln. „Irgendjemand gibt Informationen an die Presse weiter, und das auf verdammt clevere Weise. Mein Beauftragter hat nicht die Spur eines Anhaltspunktes gefunden.“
„Was tun wir also nun?“
„Ich wollte dich bitten, die Suche nach dem verschwundenen Herausgeber zu übernehmen.“ Er klopfte
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