Zwischen Pflicht und Sehnsucht
tut mir leid, ich weiß nicht, wen Sie meinen, Sir.“
„Wissen Sie, wer ich bin?“, herrschte Charles ihn an.
„Ja, Sir.“ So viel Verachtung in so wenigen Worten.
„Dann wissen Sie, dass ich privat wie auch politisch mit Ihrem Herrn verkehre. Er ist gerade auf dem Weg zu meinem Haus. Also sagen Sie mir nun, wo ich Mr. Fink finde.“
Sein arroganter Ton tat die gewünschte Wirkung. Der Butler gab seine Deckung auf und ließ seine ehrliche Verwirrung sehen. „Aber das kann ich Ihnen nicht sagen, Sir. Fink kommt und geht, wie er will, zu jeder Tageszeit.“
„Und Sie wissen nicht, wo er wohnt?“
„Nein.“ Der unverfrorene Nichtsnutz zog tatsächlich eine Augenbraue hoch. „Ich bin sicher, Lord Cranbourne verfügt über diese Information.“
„Gut.“ Charles durchsuchte seine Manteltaschen. „Als Nächstes muss ich den Anwalt Ihres Herrn sprechen, aber ich habe die Adresse unterwegs verloren.“ Als er seine Hand hinauszog, glitzerte ein Goldstück darin. „Wie war sein Name noch gleich?“
Nach kurzem Nachdenken antwortete der Butler schließlich: „Bridewell, Sir, von der Kanzlei Bridewell und Locke.“
„Danke.“ Charles warf ihm die Münze zu und wartete nicht ab, ob er sie auffing. Er ging zu seinem Pferd, schwang sich in den Sattel machte sich auf den Weg zur St. James Street. Wenige Minuten später wurde er in die behaglichen Geschäftsräume von Bridewell und Locke geführt.
„Guten Morgen, Sir.“ Der junge Mann, der von dem eindrucksvollen Schreibtisch aufstand, war definitiv keiner der beiden stattlichen Gentlemen, deren Porträts im Eingangsbereich hingen.
„Guten Morgen. Ich bin Viscount Dayle. Ich möchte Mr. Bridewell sprechen.“
„Bedaure, Mr. Bridewell ist letztes Jahr verschieden. Ich bin Mr. Locke.“ Auf Charles’ skeptischen Blick hin fügte er hinzu: „Mr. Locke junior. Die Gesundheit meines Vaters ist leider ebenfalls angeschlagen. Er sah sich gezwungen, die Kanzlei mir zu übergeben.“
„Schließt das die Angelegenheiten von Lord Cranbourne ein?“
„Die meisten“, bestätigte Mr. Locke gut gelaunt.
„Dann dürfen Sie mir gratulieren, denn ich werde seine Nichte heiraten.“
„Meine aufrichtigsten Glückwünsche. Also sind Sie wohl wegen der Mitgift hier?“
„Die Details müssen wir auf später verschieben, wenn Lord Cranbourne und mein eigener Rechtsbeistand verfügbar sind. Ich wollte Sie nur informieren, damit Sie anfangen können, die Papiere aufzusetzen.“
„Ich begreife Ihre Ungeduld, wo es um eine so hohe Summe geht. Sie verstehen aber sicherlich, dass ich wenig für Sie tun kann, bis ich von Lord Cranbourne persönlich beauftragt werde?“
„Natürlich.“
„Aber vielleicht darf ich Sie bitten, Lord Cranbourne meine besten Wünsche auszurichten und natürlich Ihrer Zukünftigen?“
„Das werde ich.“ Charles machte Anstalten zu gehen. Es schien nutzlos, den jungen Mann auszufragen.
„Danke“, fuhr Mr. Locke fort. „Obwohl es ein schwerer Schlag für seine Finanzen sein wird, bin ich sicher, Lord Cranbourne ist überaus entzückt, seine Nichte endlich in festen Händen zu sehen.“
Charles setzte sich und fixierte den Mann. „Ein Schlag für seine Finanzen?“
„Ja. Das Vermögen der Dame wurde treuhänderisch für sie verwaltet, ist aber für die Mitgift bestimmt.“ Mr. Locke starrte Charles ebenso prüfend an. „Darf ich fragen, wie lange Sie sie schon kennen?“
„Schon immer.“ Charles lächelte. „Seit sie als Kind nach England kam.“ Er hielt inne und fuhr dann fort: „Sie bedeutet mir sehr viel.“
„Ich bin froh, das zu hören. Jede junge Dame braucht jemanden, der sich in ihrem besten Interesse um sie kümmert.“ Er zögerte. „Ich werde Ihnen etwas sagen, das ich wahrscheinlich nicht sagen dürfte. Ich finde, jemand sollte es wissen. Es gibt eine Klausel im Testament ihres Vaters. Wenn Miss Westby bis zu ihrem fünfundzwanzigsten Lebensjahr nicht heiratet, wird ihr jährlicher Unterhalt etwas erhöht, aber der Großteil des Vermögens geht an den Treuhänder.“
„Und der Treuhänder ist …?“ Charles kannte die Antwort bereits. Aber er wollte es hören.
„Lord Cranbourne natürlich.“
„Verstehe.“ Und er verstand wirklich. Plötzlich wurde so vieles klarer.
„Setzen Sie es umsichtig ein. Mit achtzigtausend Pfund kann man viel erreichen.“
Charles erhob sich und ergriff seine Hand. „Vielen Dank für Ihre Hilfe, Mr. Locke.“
Mit tausend Gedanken im Kopf eilte er hinaus und aufs
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