Zwischen Pflicht und Sehnsucht
Ashford. „Lord Dayle muss endlich zurückgekehrt sein.“
Sophie wusste es besser. Sie hielt sich am Tisch fest, während die Viscountess zusammen mit einem älteren Herrn in den Lichtkreis trat. Einen Moment lang standen sie da, dann räusperte sich Lady Dayle und bat um allgemeine Aufmerksamkeit.
„Meine lieben Freunde, ich bitte Sie, zwei weitere Gäste auf unserem Fest zu begrüßen. Natürlich kennen die meisten von Ihnen Lord Avery bereits.“ Der Herr verbeugte sich, und eine Dame trat zu ihm. „Und sicher erinnern Sie sich auch an Lady Avery.“
Ein Moment der Stille folgte ihrer Ankündigung, die nur von dem empörten Schnaufen Lady Ashfords durchbrochen wurde. Sophie biss sich auf die Lippe, während sie abwartete, dann hielt sie es nicht mehr aus. Sie erhob sich und knickste. „Willkommen auf Sevenoaks, Mylord, Mylady. Ich fürchte, Sie haben das Abendessen versäumt, aber das Dessert wird gleich serviert.“
Sie atmete erleichtert auf, als Emily sich ebenfalls erhob. „Ja, seien Sie willkommen. Hier neben meinem Mann und mir ist noch Platz für Sie frei.“
Mit dankbarem Blick ging Lady Avery zu ihr, während Lord Avery stehen blieb, um Sir Harold die Hand zu schütteln. Sophie fühlte sich, als könnte sie vor Erleichterung zusammenbrechen. Sie und Lady Dayle waren heute Abend ein großes Risiko eingegangen. Und es musste auch Lord und Lady Avery Mut gekostet haben, die Einladung anzunehmen. Einen Moment lang hatte sie gedacht, ihr Plan wäre ohne Charles’ Einfluss zum Scheitern verdammt. Aber der erste Schritt war getan. Vielleicht würde nun von selbst alles gut werden.
Doch dann sprang Lady Ashford auf und funkelte Lady Dayle an. „Diese Unverfrorenheit ist nicht zu glauben! Zuerst werden wir von unserem Gastgeber allein gelassen, und dann wird uns das hier zugemutet!“ Sie fuchtelte mit der Hand in Lady Averys Richtung. Die arme Frau klammerte sich an ihre Würde und stand aufrecht da.
Lady Ashford griff nach der Hand ihrer Tochter und zerrte sie auf die Füße. „Meine Tochter ist ein unschuldiges Mädchen. Sie darf solchen … Personen nicht ausgesetzt werden. Komm, Corinne.“ Hoch erhobenen Hauptes marschierte sie an den Tischen vorbei und blieb mit gerümpfter Nase vor Lady Dayle stehen. „Wir werden morgen früh abreisen.“
„Das ist auch gut so“, erklang Charles’ Stimme aus der Dunkelheit.
Sophie war nicht die Einzige, die erschrak. Sie sah, wie einige der Damen sich an ihren Tischherren festhielten. „Denn ich werde eine derartige Grobheit einem Gast meines Hauses gegenüber nicht dulden.“ Alle sahen gebannt zu, wie Charles ins Licht trat. Sophie seufzte. In voller Abendgarderobe, ganz in Schwarz und leuchtendem Weiß, sah er ebenso wunderschön aus wie der Nachthimmel, doch sein Gesichtsausdruck war so düster wie die dunkelste Gewitterwolke.
Lady Ashford ging einfach weiter an ihm vorbei und zerrte ihre Tochter hinter sich her. Miss Ashford hielt den Blick gesenkt und sah Charles nicht an. Schweigen erfüllte die Luft, aber nicht lange. Jemand räusperte sich. Alle Aufmerksamkeit richtete sich auf Mr. Huxley, der sich seinerseits erhoben hatte. „Es tut mir leid, das zu sagen, aber Lady Ashford hat in diesem Fall recht“, polterte er kopfschüttelnd. „Unverheiratetes Mädchen und so, das geht doch nicht.“ Er folgte den anderen zum Haus.
„Wenn noch jemand dieser Meinung ist, dann immer raus damit.“ Streng musterte Charles die Anwesenden.
Als niemand etwas sagte, sprach er weiter. „Nun gut, heißen wir unsere neuen Gäste willkommen.“ Er ging zu Lord Avery und gab ihm die Hand. „Ich nehme an, das erklärt, warum Sie nicht zu Hause waren, als ich heute auf dem Weg von London bei Ihnen vorbeischaute.
„Kommen Sie, Avery“, sagte Sir Harold, „Erzählen Sie mir, was die verfluchte Whig-Partei im Parlament angestellt hat, seit wir fort sind.“
„Setzen Sie sich zu mir, Annalise“, redete Lady Dayle der immer noch stummen Lady Avery gut zu, „Charles’ Koch hat diese köstlichen kleinen Schokoladensoufflees gemacht. Ich versprechen Ihnen, das ist, wie von einer Wolke zu kosten.“
Endlich konnte Sophie sich etwas entspannen. Die verbleibenden Gäste brachen in lebhaftes Schwatzen aus. Lord und Lady Avery wurden mit einer Liebenswürdigkeit in die Gruppe aufgenommen, die eindeutig die Bosheit derer, die gegangen waren, ausmerzen sollte. Sophie sah, wie die beiden einen intensiven Blick tauschten.
Es war ein Anfang. Jetzt konnte Lady Avery
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