Zwischen Pflicht und Sehnsucht
Pferd. Es wurde spät, und er hatte noch einen langen Ritt vor sich. Cranbourne traf vielleicht schon jetzt auf Sevenoaks ein. So viel Hinterlist, über so viele Jahre hinweg. Bei Gott, die bevorstehende Konfrontation würde hässlich werden, aber der alte Betrüger musste dafür geradestehen. Charles bedauerte nur, was das für Sophie bedeuten musste.
Er wandte sich nach Süden, zügelte dann aber sein Pferd, änderte die Richtung und ritt nach Mayfair. Einen Besuch musste er noch abstatten, bevor er zurückkehrte.
Sophie betrat erst spät an diesem Morgen den Frühstücksraum und musste sich von Jack Alden auf seine gutmütige Art dafür necken lassen, dass sie als Letzte aufgestanden war.
„Aber sie ist nicht die Letzte“, widersprach Lady Ashford und blickte vielsagend auf den leeren Stuhl am Kopf der Tafel.
„Oh doch“, sagte Jack. „Charles war heute Morgen als Erster auf. Eine dringliche Angelegenheit in der Stadt zwang ihn, bei Sonnenaufgang aufzubrechen.“
Lady Ashford hatte zu dieser Neuigkeit viel zu sagen. Sophie hörte nichts davon. Charles war fort? Bei Sonnenaufgang. Er musste direkt aufgebrochen sein, nachdem sie sich getrennt hatten. Sie wusste nicht, was sie denken sollte, außer dass diese Entwicklung nichts Gutes bedeuten konnte. Trotzdem empfand sie auf eine widerstrebende Art Erleichterung darüber, sich nicht vor allen verstellen zu müssen. Wie hätte sie vorgeben können, dass seine Anwesenheit sie nach allem, was sie gestern Nacht getan hatten, nicht aus dem Konzept brachte?
Viel schlimmer war jedoch das überwältigende Gefühl eines dauerhaften Verlusts. Nur eine Nacht? Das war nicht gerecht. So wenige Augenblicke zusammen – sie hatte auf ein paar Tage mehr gehofft, ein paar mehr Erinnerungen, die sie festhalten konnte, wenn er fort war.
Der Klang von Charles’ Namen durchdrang ihre Geistesabwesenheit. „Ich stimme Lady Ashford zu“, sagte Mr. Huxley gerade. „Ganz schlechter Stil, uns so im Stich zu lassen. Meinen Sie nicht auch, Miss Westby?“
„Nein, meine ich nicht“, sagte Sophie fest. „Lord Dayles Arbeit ist wichtig. Ich bin sicher, er hatte einen guten Grund abzureisen.“
„So ist es“, stimmte Jack zu und sah sie anerkennend an. „Außerdem hat Charles Sie nicht sich selbst überlassen. Er hat mich gebeten, ihn heute als Gastgeber zu vertreten, und er hat vor, schon am Abend wieder zurück zu sein.“
„Wir werden ihn nicht vermissen“, warf Lady Dayle ein. „Ich habe den ganzen Tag verplant, und heute Abend gibt es eine vortreffliche Überraschung.“
Jack stellte seine Tasse ab und erhob sich. „Genau. Wenn Sie fertig sind, würden Sie mich dann auf einen Spaziergang am See begleiten?“ Er blickte die Tischrunde an. Fast alle Gäste beschlossen mitzukommen.
Wenig später erfreute sich jeder an der malerischen Landschaft, aber Sophie beschäftigte die Erinnerung an Charles’ Hände auf ihrem Körper, den maskulinen Duft seiner Haut und daran, wie er sich unter ihren eigenen forschenden Berührungen angefühlt hatte.
Solche Gedanken musste sie jedoch verbannen, als die Gesellschaft sich am Steg versammelte. Sophie fächelte sich Luft zu und hoffte, dass die Sonne stark genug schien, um ihre geröteten Wangen zu erklären. Die Gäste teilten sich in Zweier- und Vierergruppen auf und stiegen zu einer Ruderpartie in die Boote. Mateo versuchte, sie zu einer Fahrt zu überreden, aber sie lehnte lächelnd ab und blieb lange gedankenverloren am Ufer sitzen.
„Darf ich, Miss Westby?“
Sie zuckte zusammen und öffnete die Augen. „Bitte?“
Die Boote waren zum Ufer zurückgekehrt. Der kleine Strand füllte sich mit Menschen, die Herren halfen den Damen beim Aussteigen. Mr. Huxley stand mit ernster Miene vor ihr. „Ich fragte“, sagte er übertrieben geduldig, „ob Sie mir vergeben würden, wenn ich heute Morgen ganz offen spreche. Ich möchte unseren Gastgeber nicht schlecht machen, aber ich bin entrüstet darüber, wie er Miss Ashford vernachlässigt.“
„Miss Ashford ist ein Gast in Lord Dayles Haus, so wie wir alle“, entgegnete sie kälter als beabsichtigt.
Er wirkte verletzt von ihrem scharfen Ton. „Ich weiß, noch ist nichts offiziell, aber ich bin sicher, dass es zwischen den beiden eine Übereinkunft oder zumindest eine gewisse Erwartung gibt.“
„Zwischen welchen beiden?“, fragte Mateo und ließ sich auf den Platz neben Sophie fallen.
Mr. Huxley war eindeutig verdrossen über diesen Mangel an Manieren. „Zwischen Lord
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