Zwischen Rom und Mekka
überhäuft wurden. Als dieser Missbrauch in der Kirche begann, so wurden gerade die schlechtesten Personen von der Leidenschaft erfasst, die heiligen Ämter zu verwalten; der Eifer in Ausbreitung der göttlichen Religion artete in schmutzigen Geiz und Ehrsucht aus; der Tempel selbst wurde damit zu einer Schaubühne, wo man nicht die geistlichen Lehrer, sondern Redner hörte, denen es nicht auf Belehrung des Volkes ankam, sondern die nur bewundert sein und die Andersdenkenden öffentlich bloßstellen wollten. Man lehrte nur das Neue und das noch nicht Gehörte, was die Menge am meisten mit Staunen erfüllte. Daraus musste notwendig viel Streit, viel Neid und Hass entstehen, der durch keinen Zeitverlauf besänftigt werden konnte.«
In seinem Hauptwerk, der »Ethik«, 1677 nach seinem Tod erschienen und im Jahre 1690 mit allen posthum erschienenen Werken auf den Index der verbotenen Bücher der Römischen Kirche gesetzt, konzentriert und verschärft Spinoza den Tadel gegen die Beamten der Religion, weil sie nicht das Gute
im Menschen fördern. Wie Jesus von Nazareth erhebt er seine Stimme gegen die Falschen von Synagoge, Kirche und Moschee, gegen »die Vertreter des Aberglaubens, die besser verstehen, Laster zu tadeln, als Tugenden zu lehren […]. [Sie] bezwecken nichts anderes, als dass die anderen ein ebenso klägliches Leben führen wie sie selbst. Kein Wunder daher, wenn sie den Menschen meist lästig und verhasst sind.« Der Philosoph hingegen will, »dass der geisteskräftige Mensch niemand hasst, auf niemand zürnt, niemand beneidet, über nichts sich entrüstet, niemand verachtet und nicht im geringsten hochmütig ist, […] dass der Hass durch Liebe zu besiegen ist und jeder, der von der Vernunft geleitet wird, wünscht, dass das Gute, das er für sich verlangt, auch anderen zuteil werde« (IV. Teil, Anmerkung 73).
Der Vorwurf an die real existierenden Religionen und ihre leibhaftigen Vertreter ist unüberhörbar. Deshalb wurden der »Tractatus« und die »Ethik« im protestantischen Holland sofort heftig angegriffen, der - trotz der Anonymität - bald bekannte Verfasser übel angefeindet. Die Folgen sind leidvoll: ein weiterer Wohnungswechsel für Spinoza und natürlich ausdrückliche Verbote des »Tractatus«. 1679 wird er dann, wie erwähnt, von der Römischen Kirche auf ihren Index gesetzt, als erstes Werk Spinozas.
Streit, Neid, Hass unter den Religiösen und den Religionen - das war 1670 die historische Bilanz. Und auch eine Prophezeiung. Eine unabweisbare Anfrage heute.
Aber nun geht er nach der Kritik an der Religion und der Religionsinstitution mit ihren eigennützigen Vertretern über zur Kritik an dem, womit sich die drei Religionen des göttlichen Wortes, der heiligen Schriften, zu legitimieren suchen: der Offenbarung:
»Da ich bei mir bedachte, dass das natürliche Licht [der Vernunft] nicht bloß gering geschätzt, sondern von vielen geradezu als Quelle der Gottlosigkeit verdammt wird, dass menschliche Erdichtung für göttliche Lehre gehalten, Leichtgläubigkeit als Glaube geschätzt wird, dass die Streitigkeiten der Philosophen in Kirche und Staat mit aller Leidenschaftlichkeit geführt werden
und dass wütender Hass und Zwist […] davon die Folge ist, so habe ich mir fest vorgenommen, die Schrift von Neuem mit unbefangenem und freiem Geist zu prüfen und nichts von ihr anzunehmen oder als ihre Lehre gelten zu lassen, was ich nicht mit voller Klarheit ihr selbst entnehmen könnte.«
»Herrschaft der Religionsverwalter«
Spinoza entzieht sich damit der Herrschaft der Religionsverwalter. Was dann in der Vorrede des »Tractatus« folgt, muss man Satz für Satz lesen. Denn es sind die bleibenden Anfragen an eine Religion, die sich auf göttliche Offenbarung beruft und diese in heiligen Schriften bewahrt. Juden, Christen und Muslime haben das gleiche Problem. Mit »Gesetz und Propheten« in der jüdischen Bibel, mit dem Alten und Neuen Testament, mit dem Koran. Es ist kein historischer Rückblick und keine intellektuelle Kür im aufgeklärten Westen, sondern aktuelle Pflicht für den Dialog mit dem Islam, der von Spinozas Darlegungen herausgefordert wird, weil jener ihnen heute und in Zukunft nicht ausweichen kann. Denn was der theologische Philosoph über die Bibel schreibt, gilt auch für den Koran. Oder?
»Mit Vorsicht habe ich mein Verfahren für die Auslegung der heiligen Schriften eingerichtet, und darauf gestützt, habe ich vor allem ermittelt, was die Weissagung sei und in welcher
Weitere Kostenlose Bücher