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Zwischen Rom und Mekka

Titel: Zwischen Rom und Mekka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz-Joachim Fischer
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erschüttert einen noch heute, oder gerade heute wieder:
    »Auf Geheiß der Engel und nach Anordnung der Heiligen exkommunizieren wir, verbannen, verfluchen und verdammen wir Baruch de Espinoza […]. Er sei verflucht des Tages und er sei verflucht des Nachts, verflucht, wenn er ruht, verflucht, wenn er aufsteht, verflucht, wenn er ausgeht, verflucht, wenn er heimkehrt! Der Herr wird ihn nicht verschonen. Im Gegenteil, der Zorn des Herrn und seine Eifersucht wird über diesen Menschen herabkommen. Hütet euch, dass niemand mündlich oder schriftlich mit ihm verkehre, niemand ihm einen Gefallen erweise, niemand unter einem Dach mit ihm wohne, niemand sich ihm nähere, niemand eine von ihm verfasste Schrift lese!«
    Das eine ist die menschliche und soziale Ausgrenzung. Das andere sind die bohrenden Fragen. Wer ist denn dieser zürnende, eifersüchtige, rächende, strafende Gott? Was hat ihn und vor allem seine (jüdischen) Gläubigen so sehr gegen einen Minderjährigen aufgebracht? Wo doch der ewige und unendliche Gott dem Menschen das Licht der Vernunft geschenkt hat? Ist dieser Gott denn Gott? Aktuelle Fragen, auf die Juden, Christen und Muslime immer noch - vielleicht sich gegenseitig jetzt helfend - Antworten finden müssen.

Bibelkritik als bittere Medizin
    In seinem »Tractatus«, 14 Jahre später, wagt Spinoza alles. Es ist moderne Bibelkritik, gründend auf der Vertrautheit mit und der Kenntnis der, wie man glaubt, göttlichen Mitteilungssprache, hier des Hebräischen. Spinoza ist damit nicht der Erste in Europa, doch einer der Wirkmächtigsten. Seine Kritik an der Heiligen Schrift wird sogleich als synagogen- und kirchenfeindlich abgelehnt. Doch sie wirkt, als bittere Medizin für den Glauben widrig schmeckend, in manchem heilsam. Sie setzt sich nur langsam durch, in einem Jahrhunderte dauernden Prozess,
gegen vielfache Widerstände, in den protestantischen Kirchen schneller als in der katholischen. Aber sie setzt sich durch.
    Denn im abendländischen Europa ist von nun an kein Kraut mehr gewachsen gegen rationale Argumente, gegen wissenschaftliche Erkenntnisse. Der Islam hingegen kennt nur ansatzweise einen ähnlichen Prozess mit dem Koran. Der ist gemeinhin Gottes Wort aus dem Mund des Propheten. Wehe, es wagt jemand zu widersprechen, dem Koran und den ihn auslegenden Autoritäten! Dann drohen ihm Verdammung, Verfolgung, zuweilen Tod. Das muslimische Wort Gottes scheint zuweilen wie ein drohendes Schwert über der Welt des 21. Jahrhunderts zu hängen. Müsste der Dialog zwischen Kirche und Moschee dieses göttliche Wort dort herunterholen?
    Baruch Spinoza widerspricht dem »Wort Gottes«. Im 17. Jahrhundert! Als gerade erst die Reformatoren, Martin Luther (1483 bis 1546), Ulrich Zwingli (1484-1531) und Johannes Calvin (1509-1564), den christlichen Glauben allein auf das Wort Gottes, die Heilige Schrift (»Sola Scriptura«) gegründet hatten und damit einen Aufschwung der Freiheit in Europa auslösten, eine bürgerliche Revolution in den nunmehr protestantischen Gesellschaften, allen voran den Niederlanden und Amsterdam. Schriftgläubigkeit, eingesetzt gegen die hierarchisch-kirchliche Amtsautorität, konnte (und kann) also auch zur kulturellen Freiheit führen. Wiewohl der konfessionelle Gegensatz auch widerstreitende Interessen begründet und furchtbare Kriege entfesselte. Die deutsche Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges war gerade erst mühsam mit dem Westfälischen Frieden beendet worden.

Autorität und Kritik
    Spinoza widerspricht, als die römisch-katholische Kirche durch eine Gegenreform mit vielerlei Mitteln die Autorität für Papst und Bischöfe in der anderen Hälfte Europas zurückgewinnen wollte und im Fall des Galileo Galilei den Wortsinn der Bibel gegen naturwissenschaftliche Forschungen verteidigen zu müssen glaubte. Spinoza hingegen unterstellt das Wort Gottes (in) der Bibel prinzipiell seiner Vernunft.

    Das Programm dieser Bibelkritik legt Spinoza im ersten, 15 Kapitel umfassenden Teil seines »Traktats« dar, der, lange vorbereitet, 1670 anonym in Amsterdam unter einem fingierten (Hamburger) Verleger erscheint. Dessen »Vorrede« ist eigentlich deren Kurzfassung. Sie kann als Urmanifest der europäischen Kritik an Religion, Kirche(n), Offenbarung und Bibel gelten. Es scheint keine bessere Grundlage für einen heutigen Dialog von philosophisch-theologischer Dimension zu geben als die Vorrede dieses Traktats. So wäre es zu wünschen
    Schon in den ersten Sätzen sagt Spinoza dem

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